„Zwischen den Geschlechtern liegt das Weltall“

■ US-Feministinnen werten Freispruch für William Kennedy Smith als weiteren Rückschlag gegen Frauenrechte

Washington (wps/taz) — Juristisch gesehen stand Aussage gegen Aussage. Und juristisch gesehen gewann im Vergewaltigungsprozeß gegen William Kennedy Smith, der in den letzten Tagen ein Gericht im US-Bundesstaat Florida und die US-Fernsehzuschauer beschäftigte, die Partei, deren Darstellung des Tatverlaufs weniger widersprüchlich erschien. Wenn der am Mittwoch freigesprochene Kennedy-Sprößling nun vom US-Bundesstaat Florida seine Anwaltskosten zurückerstattet haben will, erscheint das nach dem Urteilsspruch der Geschworenen nur logisch — und angesichts der exorbitant hohen Anwaltshonorare von mittlerweile zwei Millionen Dollar ökonomisch naheliegend.

Folglich ging es weniger um die Rekonstruktion von „wahrem“ Tatgeschehen, Schuld oder Unschuld, sondern darum, welcher Version eher geglaubt würde. Nach den Regeln des Strafprozesses, erklärte Susan Estrich, Jura-Professorin an der University of California, habe sich Kennedy Smith auf den Grundsatz „in dubio pro reo“ berufen können. Viel verheerender bewertet sie die Folgen der Live-Übertragung des Prozesses: „Das hat vor allem eine Message transportiert: Daß Frauen lügen und daß die Vergewaltigung durch einen Bekannten kein Verbrechen ist.“

Feministinnen werten dies als den zweiten Rückschlag gegen die Frauenbewegung innerhalb kürzester Zeit — beide Male vor laufenden Kameras. Erst vor wenigen Wochen war die ganze Fernsehnation Zeuge, als der Kandidat für das Richteramt im „US-Supreme Court“, Clarence Thomas, vor dem zuständigen Senatsausschuß Vorwürfe einer ehemaligen Mitarbeiterin, Anita Hill, abstritt, wonach er sie wiederholt sexuell belästigt habe. Das Urteil sprachen in diesem Fall die 98 männlichen und zwei weiblichen Mitglieder des US-Senats: Sie bestätigten Thomas als Verfassungsrichter.

Im Fall Clarence Thomas/Anita Hill wurde das eigentliche Thema der sexuellen Gewalt am Arbeitsplatz überschattet von polemischen Scheingefechten zwischen republikanischen und demokratischen Senatoren über eine mögliche politische Schmutzkampagne gegen den konservativen Juristen und Bush-Favoriten. Im Gerichtssaal von West Palm Beach wurde vordergründig ein weiteres Skandalkapitel in der Saga der Kennedy-Familie geschrieben: Tatsächlich aber ging es auch um das „date raping“ — die Vergewaltigung einer Frau durch einen bekannten oder befreundeten Mann nach einer Party oder Verabredung.

„Date raping“ macht nach Angaben der „National Organisation for Women“ (NOW) den Großteil der Vergewaltigungsdelikte in den USA aus, doch liegt die Beweislast in diesen Fällen noch drückender auf den Schultern der Frauen, ihre Glaubwürdigkeit landet oft eher auf der Anklagebank als der Beschuldigte. „Deswegen“, sagt NOW-Präsidentin Patricia Ireland, „werden schätzungsweise neun von zehn Vergewaltigungen gar nicht gemeldet.“

Robin Morgan, Herausgeberin des feministischen Magazins 'Ms‘, prophezeit trotz der fortgesetzten Rückschläge eine Mobilisierung der Frauen. Vor allem die republikanische Partei werde auch aufgrund ihrer Haltung in der Abtreibungsfrage die Reaktion der Frauen bei den nächsten Wahlen im November zu spüren bekommen. „Die sind naiv, wenn sie glauben, wir halten den Mund. Zwischen den Geschlechtern liegt nicht mehr nur eine Kluft, sondern demnächst das ganze Weltall.“

Dabei, so scheint es, ist die Kluft im Nachbarland Kanada gerade etwas kleiner geworden. Dort stellte Justizministerin Kim Campbell am Donnerstag der Presse einen Gesetzentwurf zur Strafbarkeit von „date raping“ vor, worin definiert wird, worauf sich angeklagte Männer in Vergewaltigungsprozessen so häufig berufen: das vermeintliche Einverständnis der Frau zum Geschlechtsverkehr. Dieser Zustimmung muß sich der Mann in Zukunft explizit versichern — und zwar in Form eines „ausdrücklichen freiwilligen Einverständnisses in Worten oder Taten“. Der in der Öffentlichkeit als „Nein heißt Nein“- Gesetz bezeichnete Entwurf wird von allen Parteien unterstützt. Andrea Böhm