Wie Nigerias Militärregime Demokratie spielt

Heute finden in Nigeria Bundesstaatswahlen statt/ Eine von oben gesteuerte Demokratisierung/ Popularität der Regierung „auf Null“  ■ Von Uwe Hoering

„Nigeria ist größer als jeder Einzelne; laßt uns zusammenhalten, um es stark zu machen“ — mit solchen Slogans, eingestreut in Radioprogramme, eingerückt in Zeitungen und riesengroß auf Plakatwänden entlang der Schnellstraßen von Lagos versucht „Mambser“ den NigerianerInnen politische Toleranz und Nationalgefühl beizubringen. „Mambser“, die Behörde zur „Massenmobilisierung für soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Gesundung und Selbstversorgung“ und direkt dem Staatspräsidenten unterstellt, wurde ins Leben gerufen, um die Bevölkerung für die Rückkehr zu einer Zivilregierung zu „erziehen“ — mit einem Budget von 50 Millionen DM. Der nigerianische Staat läßt sich seine Reißbrett-Demokratisierung etwas kosten.

Seit seiner Unabhängigkeit 1960 ist Nigeria ein politisches und ethnisch-religiöses Minenfeld. In seinen Grenzen leben rund 250 verschiedene Völker mit ebenso vielen verschiedenen Sprachen. Die Rivalitäten führten unter anderem zum Biafra-Krieg Ende der sechziger Jahre, dessen Trauma noch immer nachwirkt. Zwei der drei Jahrzehnte lang regierten Militärs, zuletzt seit 1983, legitimiert als Garanten von „Ordnung und Stabilität“ — und von Demokratie: Als General Ibrahim Babangida sich 1985 in einer Palastrevolte an die Macht putschte, versprach er für 1990 die Machtübergabe an Zivilisten. Das Datum wurde inzwischen auf Herbst 1992 verschoben, doch der Aufbau einer neuen Demokratie, mit neuen Parteien, neuen Programmen, neuen Parteibüros und neuen Politikern wird Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt. Wichtige Etappe heute: die Wahl von Gouverneuren und Landesparlamenten für die 30 Bundesstaaten, in die das Land derzeit gegliedert ist.

Präsident Babangida selbst gilt als eine seltene Erscheinung unter Nigerias, ja unter Afrikas Politikern. Nach seiner Machtübernahme ließ er zahlreiche politische Häftlinge frei, bekannte sich zu den Menschenrechten und lockerte die Zügel für Presse- und Meinungsfreiheit. Er plädiert vehement für einen Bruch mit der Vergangenheit religiös fundierter Streitereien, politischer Gewalt und Betrugs und der alles bestimmenden Rivalität zwischen den drei ethnischen Hauptgruppen des Landes, den Igbo, den Yoruba und den nördlichen Hausa-Fulani.

Den jetzt beginnenden dritten Versuch mit der Demokratie seit der Unabhängigkeit versucht die Regierung, militärisch gründlich, vorab zu regeln. Babangida hat eine Beschränkung auf zwei Parteien dekretiert: eine für die Regierung, eine für die Opposition. Die verfeindeten regionalen, ethnischen und religiösen Gruppen, so die Idee, müssen sich in der regierungsamtlichen Zwangsjacke Zweiparteiensystem neu gruppieren und miteinander arrangieren. Die staatliche Wahlkomission NEC hat Parteinamen festgelegt, Parteisymbole geliefert, die Parteiprogramme retortenmäßig fabriziert — eines „ein bißchen links von der Mitte“ für die „Sozialdemokratische Partei“ (SDP), das andere „ein bißchen rechts von der Mitte“ für die „National-Demokratische Konvention“ (NRC).

Auf Staatskosten wurden Gründungs-Parteikongresse durchgeführt und Parteibüros in allen Bundesstaaten gebaut, Kosten pro Gebäude: eine Million Mark. Nach und nach wurde das amtlich erstellte Zweiparteiengerippe mit Leben erfüllt: Mitglieder konnten sich einschreiben, Parteifunktionäre wurden gewählt, dann Gemeindevertretungen, dann die Kandidaten für die jetzt anstehenden Parlaments- und Gouverneurswahlen. Schluß- und Höhepunkt wird im kommenden Jahr die Wahl des nationalen Parlaments und des neuen Staatspräsidenten sein.

„Overprotection“, so viele Beobachter, habe jedoch dem Demokratiesäugling längst die Lebensfähigkeit geraubt. Willkürliche Eingriffe durch die Wahlkommission, durch Militärs und Präsidialdekrete in Kandidatenauswahl, Wahlkampfführung und innerparteiliche organisatorische Entscheidungen haben kompetente Politiker, insbesondere aus dem linken Spektrum, abgeschreckt und ausgeschaltet. Schlimmer noch: eine demokratische Öffentlichkeit und oppositionelle Betätigung außerhalb der neuen Parteien wurde zunehmend unterdrückt — die Gewerkschaften wurden entmachtet, die einst diskutierfreudige, kritische und vielfältige Presse durch Verbote von Zeitschriften und Verhaftungen von Journalisten eingeschüchtert, die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen behindert.

Anders als geplant scheinen im neugebauten Parteien-Haus auch wieder die „alten Politiker-Cliquen“, die offiziell einer politischen Betätigungssperre unterliegen, hinter den Kulissen die Fäden in den Händen zu halten. Und die alten Methoden sind, so scheint es, ebenso unausrottbar: So verschwanden Mitgliederkarten in großer Anzahl — von der „alten Clique“ aufgekauft und an Getreue verteilt, um ihren Einfluß in den neuen Parteien zu sichern. Stimmen werden ver- und gekauft. Und statt zwischen den Parteien finden die Machtkämpfe nun innerhalb der beiden Parteien statt — Rivalen werden durch Stinkbomben bekämpft, manche ermordet.

„Das Grundproblem unserer Politik wurzelt in ihren ethnischen Grundlagen“, meint dazu der Journalist Uchendu Egbezor, „anders gesagt: Es geht nicht so sehr um Namen und Anzahl von Parteien, als vielmehr um die Motive und das Verhalten derer, die politische Macht anstreben“. Dr.Sophie Oluwole von der Lagos-Universität sagt es noch ungeschminkter: Die Gier sei längst zum obersten Prinzip der Politik geworden. „Wir haben die nigerianische Regierung zu einer Diebstahlszentrale gemacht.“

Dennoch werden die Parlamentswahlen 1992 sehnlichst erwartet. Denn die politische Geduld der Bevölkerung mit den regierenden Militärs ist erschöpft. Ein rabiates Strukturanpassungsprogramm, persönliche Bereicherung, die wachsende innenpolitische Repression und der Verdacht einer schleichenden Islamisierung haben den Sympathie-Bonus der Regierung Banbangida aufgezehrt. „Auf Null“ sei ihre Popularität gesunken, flüstert selbst ein Wirtschaftsbeamter hinter vorgehaltener Hand. Hartnäckig hält sich gleichzeitig der Verdacht, Babangida denke in Wahrheit gar nicht an den Rückzug aus der Politik, sondern bastle zielstrebig daran, sich im kommenden Jahr zum Präsidenten wählen zu lassen.