Wer möchte Lenin den Kopf waschen?

■ Das Beste aus der Leseraktion „Ein Platz für Lenin“/ Den Granitblock als Dankeschön nach Bonn oder auf eine Umlaufbahn schicken/ Von Briefbeschwerern, Gartenzwergen, und Revolutionsparks/ Lenin den Charakter eines Heiligen nehmen

Berlin (taz) — Die taz bat ihre Leser dringend um erste Hilfe: Wohin mit dem 19 Meter großen und 350 Tonnen schweren Lenin-Denkmal von Berlin-Friedrichshain? Und viele haben geschrieben. Aus Langenfeld und Weißenfels, Bonn und Berlin, Gundelsheim und Geldern, aus West und vor allem aus Ost kamen insgesamt 66 Vorschläge zur „Entsorgung“, „Verbringung“, „Umbettung“, „Aufbahrung“ des Granit- Revolutionärs. Nachfolgend die besten Einsendungen.

Taz-Leser Helmut Nitschke, Hamburg, hat eine Skizze mitgeschickt. Er will aus dem eingeschmolzenen Monument mitten im Berliner Wannsee ein neues Denkmal aufbauen. Titel: „Lenin besiegt von Kohl und Kohle.“ Das sieht dann so aus: „Kohl auf einer sinkenden D-Mark reitend, Lenins abgetrennten Kopf siegreich unter dem linken (!) Arm. Der dargestellten Person angemessen, ist die Statue innen hohl und begehbar.“

Ebenfalls am Wannsee will Dietmar Sudbrink, Berlin, seinen Lenin aufstellen. Das Denkmal solle in der Nähe des Ufers soweit versenkt werden, daß „nur noch der Kopf rausguckt“. Dann könnten alle sehen, daß dem Sozialismus „das Wasser bis zum Hals steht“.

Gegen eine Deponierung der massiven Geschichtstonnage argumentiert Martin Göhler, Weißenfels. Ihm schwebt statt dessen ein zentrales Sammellager für alle von Straßen und Plätzen abgeschraubten Lenine, Marxe, Engels, Thälmänner in einem großen Freiluftgelände vor. Dutzendweise könnten dort beispielsweise sämtliche Lenine in einem großen Kreis „mit zirka 60 Metern Durchmesser“ aufgestellt werden. Die ausgestreckten Hände der Statuen sollten jeweils so ausgerichtet werden, daß die Fingerspitzen ins Zentrum auf den Betrachter weisen. Welch eindrucksvolles Erlebnis, wenn der Besucher in die Mitte tritt und ein Meer von Fingern auf ihn gerichtet ist. Auch die Engels- und Marx-Statuen könnten ähnlich formschön plaziert werden. Kleinere Figuren ließen sich als Kinderspielplatz nutzen, die größten als Übungsstätte für (Bergsteiger-)Seilschaften. Auch für Friedhelm Steffen aus Bochum und Gert Eberhard aus Rostock wäre der Berliner Lenin der Grundstock für einen großen Revolutionspark. Für eine Umbettung ins Moskauer Lenin-Mausoleum hat sich taz- Leser Johannes Schumacher, Geldern, entschieden. Der echte Lenin hätte dann seine Ruhe, würde endlich beigesetzt, und „der große Konservierungsaufwand könnte für sinnvollere Aufgaben genutzt werden: Erst der Granit-Lenin ist der wirklich ewige Lenin“.

Michael Brucker, Tübingen, will die 350 Tonnen Wladimir Iljitsch in 700.000 Briefbeschwerer von je einem Pfund Gewicht umwandeln. Sie sollen dann zum Stückpreis von zehn Mark verkauft werden. Ein Prozent der so erlösten 7.000.000 DM will Herr Brucker auf sein Konto bei der Raiffeisenbank überwiesen haben.

Als „würdigen Standort“ für den abgerissenen Lenin empfiehlt Peter Kistenmacher, Mülheim, das Deutsche Eck bei Koblenz. Das dortige Reiterstandbild von Willem Zwo sei derzeit ohnehin in der Restauration und könnte danach als Ausgleich nach Berlin geliefert werden. Der leere Sockel am Deutschen Eck werde den Riesen jedenfalls „locker verkraften“.

„Lenin statt Gartenzwerge“ heißt das Entsorgungskonzept von taz-Leser Nikolaus Ruge, Gundelsheim. Genau wie Beuys auf der Kasseler Documenta Granitblöcke auf den Friedrichsplatz kippte und damit eine große Baum-Pflanzaktion einleitete, sollte auch Lenin in Blöcke zersägt und auf dem Ku'damm abgekippt werden. Per „öffentlichem Pflanzzwang“ muß dann jeder, der ein Stück Lenin für seinen Vorgarten erwerben will, in Berlin einen Baum pflanzen. Alle Lenin-Brocken werden numeriert und mit einem Echtheitszertifikat versehen, „greifen Sie zu, hoher Wertzuwachs wird garantiert!“

Das Beste zum Schluß

Bevor wir zum Sieger des Wettbewerbs kommen, wollen wir noch einige Vorschläge in Kurzform vorstellen. Mehal Torsten, Bremen: Lenin mit Banane in der Hand als Freiheitsstatue in den Rostocker Freihafen stellen! Bernhard Gaus: Alle Teile bis drei Meter hole ich selbst ab und stelle sie auf meine Dachterrasse. Gundhardt Wunsch: Die taz kauft ihn und stellt ihn vor ihren Neubau. Rainer Hutterer, Bonn: Als Dankeschön für den Regierungssitz Berlin kommt Lenin nach Bonn. Andre Zander, Berlin: Baut ihn wieder zusammen und bringt ihn auf eine außerterrestrische Umlaufbahn.

Den ausgefeiltesten und schönsten Vorschlag hat Stefan Sommer aus Berlin gemacht. Seine Idee: Lenin muß fallen! Vom Sockel geholt und auf dem Rücken liegend, werde er gut sichtbar aufgebahrt der Betrachtung erst richtig zugänglich. „Lenin zum Anfassen, Lenin zum Be-greifen: So erschließt sich eine neue Sicht des Betrachters zum betrachtenden Objekt als es in der standhaften Gestalt des elitären Führers bisher möglich war.“ Bisher sei Lenin zum „Unantastbaren entrückt“ gewesen. Gefallen und auf dem Rücken liegend, werde dieser Zustand beendet. Zugleich werde Lenin der Charakter eines Heiligen genommen, und er komme unter das Volk, jedem unmittelbar zugänglich. „Wer möchte, könnte ihm den Kopf waschen, ihm mal auf den Zahn fühlen oder ihn gar auf den Arm nehmen, wobei sich feststellen ließe, daß das garnicht so leicht ist. Man kann ihm auch zu nahe treten, ihm etwas ins Ohr flüstern oder etwas um den Bart streichen.“ Stefan Sommer hat auch schon einen passenden Ort gefunden: Unmittelbar neben den Grabbeltischen im Berliner Konsumtempel KaDeWe. Schlußsatz von Stefan Sommer: „Ich wäre so gerne ein Denkmal, Denkmale müssen nie weinen...“

Alle genannten Leser erhalten Buchpreise, dem Sieger spendiert die taz — Licht aus, Spot an — eine Reise nach Moskau mit Besuch im Lenin-Mausoleum. Manfred Kriener