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Die Spur der Vertuscher von Bochum

Vorwürfe gegen Polizei und Staatsanwälte wegen schludriger Ermittlung nach Vergewaltigungen werden untersucht  ■ Von Bettina Markmeyer

Bochum (taz) — Der Bochumer Polizeichor probt in vorweihnachtlicher Harmonie „Maria durch den Dornwald ging“ — der Leiter der Bochumer Kriminalpolizei, Günter Kordel, tritt um sich. Polizeiintern brachte er ein Flugblatt in Umlauf, auf dem er Mitarbeiter in der eigenen Behörde als „Querulanten“ und „Nestbeschmutzer“ verunglimpft, die Vorgesetzte „bis hinauf in die höchsten Amtsstellen“ traktieren würden. Der Kripo-Chef rast gegen jene Kriminalbeamten in seiner eigenen Behörde, die versuchen, Licht in einen Skandal zu bringen, der seit Mitte Oktober nicht nur in der Bochumer Polizei für größte Unruhe sorgt.

Anfang der achtziger Jahre hatten Bochumer Polizisten gezielt die Spur zum wichtigsten Tatverdächtigen einer Serie von 40 Vergewaltigungen verwischt. Das mutmaßliche Motiv: der Verdächtige war der Sohn des Bochumer Kriminalbeamten, der die damaligen Ermittlungen leitete. Jener Maskierte, der jahrelang im Bochumer Uni-Viertel und in Münster Frauen mit vorgehaltener Waffe vergewaltigt hatte, wurde nie gefaßt (siehe taz vom 29. November 1991).

Die zuerst vom 'Stern‘ erhobenen Vertuschungsvorwürfe gegen etliche Bochumer Kripoleute „erscheinen“ dem Regierungspräsidenten in Arnsberg in einem Bericht für Innenminister Herbert Schnoor als „nicht unbegründet“. Der RP-Bericht kommt weiter zu dem Schluß, daß der aus dem Verhalten von drei Kriminalbeamten „resultierende Verdacht der Strafvereitelung im Amt als nicht ausgeräumt gelten kann“. Gegen die Polizisten, zwei von ihnen sind inzwischen pensioniert, laufen jetzt disziplinarische Vorermittlungen.

Die angeblichen „Nestbeschmutzer“ bei der Bochumer Polizei seien tatsächlich, so der Regierungspräsident in seinem Bericht, die einzig verdienten Beamten im Bochumer Ermittlungsskandal, weil sie „die Materialien für eine rechtzeitige Einleitung entsprechender Ermittlungsverfahren der Strafverfolgungsbehörde vorgelegt“ hatten.

Eben jenem Beamten, der 1985 die Ermittlungen in der Vergewaltigungsserie erneut in Gang brachte und seine eigenen Kollegen der Strafvereitelung im Amt bezichtigte, hatte Kripoleiter Kordel damals mit einem Disziplinarverfahren gedroht. Das geht aus einem Vermerk hervor, der der taz vorliegt.

Unterdessen ermittelt der Leitende Oberstaatsanwalt in Essen strafrechtlich gegen mehrere Polizisten und einen Bochumer Staatsanwalt. Letzterer hatte das Verfahren gegen den Haupttatverdächtigen und Sohn eines hohen Bochumer Kripobeamten eingestellt, obwohl er wußte, wie er Ende 1990 in einem erneuten Verfahren aussagte, daß mindestens drei Beamte jene Ermittlungsunterlagen vernichtet hatten, die den Verdächtigen belasteten. Zu den jetzt laufenden Ermittlungen wollte Justizminister Krumsiek gestern im Landtag keine Stellung nehmen. Wesentlich für die Klärung der Vorwürfe gegen die Bochumer Justiz wird nun die Frage sein, ob der damalige Staatsanwalt die Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte und den Hauptverdächtigen fahrlässig oder mit der Absicht einstellte, den Verdächtigen zu schonen. In einer Besprechung Ende 1985 erörterte man „das bisherige Ermittlungsergebnis und das geplante weitere Vorgehen“, so einer der Beteiligten.

Besprechungsteilnehmer waren: der Leitende Bochumer Oberstaatsanwalt, der in der Sache Vergewaltigungsserie und Strafvereitelung im Amt ermittelnde Staatsanwalt, der damalige und heutige Bochumer Polizeipräsident Schermer und sein Kripo-Chef Kordel. Mindestens drei dieser Herren wußten nachweislich über die Vernichtung von Ermittlungsunterlagen bei der Bochumer Polizei Bescheid. Das damals gemeinsam „geplante weitere Vorgehen“ endete am 27.11.1987 mit der Einstellung des Verfahrens gegen den Tatverdächtigen.

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