Gauck als Preisträger unerwünscht

Humanistische Union wollte den Sonderbeauftragten mit ihrem Fritz-Bauer-Preis auszeichnen Wegen des Stasiaktengesetzes wurde die Zusage aber zurückgezogen/ Beiratsmitglieder protestieren  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Die Humanistische Union hat ihre Meinung geändert: Im Sommer noch wollte sie dem Sonderbeauftragten für die Stasiunterlagen, Jochen Gauck, ihren „Fritz-Bauer- Preis“ verleihen und damit seine „Verdienste um die Aufklärung der Stasivergangenheit“ würdigen — jetzt aber, im Winter, folgte der Rückzieher. Nach der Verabschiedung des Stasiunterlagegesetzes im Bundestag gilt ihr der Sonderbeauftragte nicht mehr als auszeichnungswürdig.

Im Juni des Jahres klopfte Ulrich Vultejus, Bundesvorsitzender der Bürgerrechtsvereinigung, beim Chef der Aktenbehörde an: Die Humanistische Union (HU) beabsichtige, ihm (Gauck) die diesjährige Auszeichnung zu verleihen. Mit dem Preis, schrieb der Vorsitzende, würden seit 1969 Personen geehrt, die „unbequem und unerschrocken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit durch ihre Arbeit Geltung verschaffen“. Gauck solle nach dem Willen des Bundesvorstands in den Kreis der Preisträger aufgenommen werden, gewürdigt werde sein „Engagement in der Vergangenheit und ihre durch Unbeugsamkeit und Gerechtigkeitssinn gekennzeichneten Verdienste um die Aufklärung der Stasivergangenheit“. Wenn er einverstanden sei, müßten nur noch einige Formalitäten geklärt werden. Die Frage zum Beispiel, wer als Redner für eine Laudatio in Frage komme.

Alle waren zufrieden: Jochen Gauck erklärte mit Schreiben vom 9.Juli, daß die Nachricht bei ihm „natürlich große Freude ausgelöst“ habe, eine Woche später antwortet die HU mit „herzlichem Dank“ für die „zustimmende Antwort“. Drei Monate später — im Bundestag ist zwischenzeitlich das Stasiaktengesetz verabschiedet worden — ist die Freude allerdings verflogen und von einer Preisverleihung nicht mehr die Rede.

Gemeinsam mit der Bürgerbewegung, schreibt Ulrich Vultejus am 16.November an Gauck, habe die HU „die lange und nicht immer durchschaubare Debatte“ über das Stasiaktengesetz verfolgt — in der Hoffnung, am Ende möge eine Regelung zum Wohle der von Denuntiation und Verfolgung betroffenen Menschen in der ehemaligen DDR zustande kommen. Die Hoffung habe aber leider getrogen. Mit der beabsichtigten Preisverleihung sei der „Wunsch“ verbunden gewesen, Gauck „für den Einsatz in der Auseinandersetzung über das Gesetz den Rücken zu stärken“. Er sei zwar überzeugt, daß sich Gauck entsprechend bemüht habe — „aber leider haben sich diese Bemühungen bei der Abfassung des Gesetzes nicht ausgewirkt“. Eine Preisverleihung würde nun den öffentlichen Eindruck erwecken, „als billigten wir dieses Gesetz“. Ergo: Das „Angebot“ könne nicht länger aufrecht erhalten werden.

Keineswegs, beteuerte Vultejus, sei daran gedacht, Gauck brüskieren zu wollen. Die Entscheidung werde daher öffentlich nicht bekannt gegeben, „zumal unser bisheriger Kontakt ebenfalls das Stadium erster vertraulicher Sondierung noch nicht überschritten hatte“.

Jochen Gauck vermag auf Anfrage der Argumentation der Humanistischen Union nicht zu folgen. Mit der Verabschiedung des Gesetzes werden aus seiner Sicht schließlich die zentralen Forderungen der Bürgerbewegung eingelöst und das von der Stasi in über drei Jahrzehnten angehäufte Herrschaftswissen an die Bespitzelten und Betrogenen zurückgegeben. Dem Sinneswandel, so der frühere Rostocker Pfarrer, müsse wohl ein „ideologischer Blick“ zugrunde liegen, „der die Urteilskraft eingeschränkt hat“. Er würde sich allerdings freuen, von den Vorstandsmitgliedern „die wahren Hintergründe“ für ihre Entscheidung kennenzulernen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Otto Schily, Mitglied im Beirat der HU, nahm gestern die Entscheidung der Vorständler mit einigem Befremden zur Kenntnis: Gauck könne doch nicht für ein Gesetz verantwortlich gemacht werden, das im Bundestag beschlossen wurde; auch würden seine Verdienste deswegen keineswegs geschmälert. Heftiger noch reagierte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Herta Däubler-Gmelin, ebenso im Beirat, nannte den Vorgang schlicht „völlig unmöglich“. Er stehe im krassen Widerspruch zu dem Verständnis, das sie von der Humanistischen Union habe. Sie forderte den Bundesvorstand auf, bei seiner heutigen Sitzung in Erfurt „die Angelegenheit zur Zufriedenheit aller“ zu regeln. Andernfalls stehe sie dem Beirat nicht weiter zur Verfügung.