Ein Hitler mit Zeichenmappe

■ Gelungene Premiere: Taboris „Mein Kampf“ in Bremerhaven / Bitterböse Farce

Was ist der Sinn der Dichtung? „Ungeliebten Kindern Geschichten zu erzählen, bis es sie schaudert“, antwortet Schlomo Herzl. Der herzensgute Mann in George Taboris poetischer Farce „Mein Kampf“ lebt mit Lobkowitz (Stephan Lerne), dem Koch für koscheres Fleisch, in Frau Merschmeyers Männerheim in Wien, als der junge Hitler mit Zeichenmappe unter dem Arm in die armselige Behausung einbricht. Er wird sich mit eigenen Werken („Mein Hund im Zwielicht“) an der Akademie der schönen Künste vorstellen, die ihm hoffnungslose Unfähigkeit bescheinigt. Herzl kümmert sich väterlich um den ungeliebten Bauerntölpel mit den bösen rhetorischen Tiraden gegen alles Fremde. Er stutzt ihm die kaiserlichen Schnurrbartenden, bis das Markenzeichen des Herrenmenschen unter der Nase erkennbar wird, und legt ihm die Haare zurecht. Am Ende ist die Verwandlung zum künftigen Führer perfekt.

Taboris „Mein Kampf“ ist eine vielschichtige Parabel, zynisch- ironisch, komödiantisch, sentimental, bissig und bitter. Sie lebt vom guten Ensemble-Spiel, vor allem aber vom Dialog der Protagonisten Hitler und Herzl. Martin Bachmann als Hitler und Helmut Nyemecz als Herzl sind für das Bremerhavener Stadtteater ein Glücksfall. Bachmann zeigt einen armseligen Menschen, der den geifernden Komödianten in sich entdeckt und erschreckend realistisch Konterfei und Gestik des kommenden Führers annimmt. Helmut Nyemecz spielt den jüdischen Erzähler zurückhaltend, fast unterkühlt; souverän wechselt er zwischen fürsorglicher Wärme und intellektueller Kälte, steht immer etwas über und neben dem Spiel, läßt spüren, daß er weiß, wie die Geschichte mit Hitler weitergeht.

Der Hamburger Gast-Regisseur Hans-Werner Wenzke setzt nicht auf Tempo und szenisches Spektakel (das dennoch nicht zu kurz kommt); er entwickelt die Komik der bitterbösen Farce Satz für Satz und erzeugt eine Spannung, die bis zum letzten Bild über zweieinhalb Stunden anhält. Nach vielen Pannen und Peinlichkeiten in Bremerhavens Kleinem Haus ist dem Stadtteater mit Taboris „Mein Kampf“ eine der besten Inszenierungen der letzten Jahre gelungen. Eine Überraschung, die mit großem Beifall aufgenommen wurde. Hans Happel

Weitere Vorstellungen: 19.12.; 28.12.; 4.1. — um 20 Uhr, im Kleinen Haus BHV