Marathon-Männer

■ Lindenberg und Jürgens: zwei Udos mit neuen Platten

Der eine singt, der andere auch. Der eine kann's, der andere nicht. Während Udo Jürgens mit profilierter Stimme jeden textlichen Unsinn ausgleicht, nölt Udo Lindenberg drauflos, dafür aber ganz authentisch. Beide sind unverzichtbar für das deutsche Showgeschäft, ganz fest im Sattel und voller Verdienste. Beide in die Jahre gekommen, versorgen sie uns dennoch in beharrlicher Regelmäßigkeit mit Selbstgereimtem und/oder Selbstkomponiertem. Aber was haben sie uns noch zu sagen?

In seinem neuesten Album Geradeaus! setzt Udo Jürgens ganz auf Altersweisheit und Lebenserfahrung. Da werden keine beliebigen Liebesschwüre mehr verteilt, mit den Jahren wird man ruhiger: „Es gibt nur einen Weg, der mit dir begann/ Alle andern Wege enden hier/ Marathon-Mann.“

Das Alter läutert, und gewichtig konzentriert sich Jürgens auf das liebste seiner geliebten Selbstbilder: den aufrechten Zivilisationskritiker. Der Cocktail zum Beweis ist bunt gemischt und läßt keinen Brennpunkt aus. Da geht es gegen Umweltzerstörung bei der Rallye Paris-Dakar ebenso wie um Belfast, Beirut und Bangladesh, um die Einsamkeit am Anrufbeantworter und die Armut im Überfluß. Dagegen setzt Jürgens die Kraft seiner Musik: „Mein letztes Lied sei wie ein Band/ Ein starkes Band, das uns verbindet/ Damit die Wärme nicht verschwindet/ Aus diesem oft so kalten Land.“

Damit die Jürgens-Musik, deren Handschrift man kennengelernt hat im Lauf der langen Jahre, nicht völlig betäubt, hat Keyboarder Franz Bartzsch — dereinst im Osten musikalisch zuständig für Veronika Fischer — bei dem ein oder anderen Lied mit gekonnter Hand die Arrangements gesetzt. Da kommt dann gute Pop-Musik raus, weit über dem Standard und zum Reinhören allemal geeignet.

Nicht reinhören, aber richtig hinhören lohnt — Surprise, Suprise — bei Gustav, dem letzten Opus von Udo Lindenberg. Ein „Hotel Imperial“ ist dort mythischer Ort und gleichsam Focus für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutsch-Stars. Alles kommt hier am anonymen Ort zusammen, was so einen noch zusammenhält: Liebe und Anarchie, Sex und Leidenschaft, Alkohol und Einsamkeit. Gustav — das nostalgische alter ego des Udo L. — bewegt sich von Hotelzimmer zu Hotelzimmer und kommt doch nicht raus aus dem Koordinatensystem des Mannsbilds ohne Illusionen.

„Wo bin ich hier gelandet?/ Wo bin ich hier gestrandet?/ Mit meinem blauen Schiff/ Knallte ich gegen so'n Riff“: Die ungewollte Tour de force treibt Gustav von „Lolita/ ... An der Schwelle zum Frausein“ ins „Niemandsland“, von dort zum Hort von Liebe und Geld im „Palais d'amour“ und schließlich zur Mini-Bar „Unterm Säufermond“.

Musikalisch wechselt Lindenberg zwischen Eigenarbeit und — er kann es sich leisten — Fremdmaterial. Cole Porters Love for sale wird ebenso eingedeutscht wie Michel Legrands Windmills of my mind und der Dusty-Springfield-Klassiker I close my eyes and count to ten. Das scheint gewagt und hält doch die Stimmung, der Hangover des Gustav bleibt authentisch.

Lindenberg bleibt bei sich, verausgabt sich nicht mehr als Sprachrohr für die Gebeutelten um ihn herum, hält sich nur noch auf mit dem zermürbten, versoffenen Selbst. Da steckt die letzte Kraft drin, ein Quentchen Ironie und die lyrische Vision des einstigen Krakeelers: „Zeitbomben sind nicht mehr zu bremsen/ Wenn der Sekundenzeiger rennt/ Und die Wahrheit gilt auch dann schon/ Wenn noch keiner sie erkennt.“ Elmar Kraushaar

Udo Jürgens: Geradeaus! Ariola.

Udo Lindenberg: Gustav. Polydor.