Leidliche Selbstdarstellung

Zum ersten Festival der neugegründeten Berliner Gesellschaft für Neue Musik  ■ Walter Kovalski

Musik zur Zeit“, hieß das Motto der Veranstaltung. Doch Musik gibt's bekanntermaßen vielerlei in Berlin, und was in Konzerten gespielt wird, ist allemal „zur Zeit“. Allzu große konzeptionelle Schärfe läßt sich dem ersten Festival der Berliner Gesellschaft für Neue Musik also keineswegs vorwerfen. Das wiegt um so schwerer, als im Programmheft mehrmals der gewagte Anspruch formuliert war, in drei Tagen einen Überblick über das zeitgenössische musikalische Schaffen in Berlin zu geben.

Die enzyklopädische Idee bestimmte auch die drei Musiknächte, war doch eine dem präparierten Klavier, eine der Kammermusik im Spannungsfeld Komposition — Konzeption — Improvisation und die letzte der „Musique mixte“ für Solisten und Elektronik gewidmet. Daß das nicht unbedingt eine glückliche Wahl war, zeigten die gegen Ende der teilweise über vierstündigen Konzertprogramme sich regelmäßig stark lichtenden Zuhörerreihen. Vielleicht wäre es günstiger gewesen, die Gattungen zu mischen. Ein — wenn auch abwechslungsreich präparierter — Klavierklang bringt nach einiger Zeit eben doch die Ohren zum Gähnen. Eine vergleichende Darstellung erzeugt überdies unnötige Konkurrenz, sowohl zwischen den Interpreten als auch unter den vorgestellten Kompositionen, steht doch nun die Frage im Raum, wer den Höhepunkt des Abends für sich reklamieren kann.

Nebenbei bemerkt wurden die Stücke von knapp dreißig Komponisten nicht, wie im Programmheft vermerkt, von einer noch größeren Anzahl von Interpreten gespielt, sondern eben mal dreiundzwanzig, was, bedenkt man die Ensemblestücke, nur möglich war, indem manche Musiker in unterschiedlicher Konstellation immer wieder zu hören waren. Den Rekord hielt Katharina Hanstedt, die bei fast einem Viertel aller Stücke des Festivals mitspielte, knapp vor Ulrich Krieger, der es nur auf ein solides Fünftel brachte — mag sein, daß Harfen- beziehungsweise Saxophonspieler, die sich zu neuer Musik herablassen, dünn gestreut sind.

Von einem kompositorischen Überblick über die diversen Berliner Strömungen konnte jedenfalls nicht die Rede sein. Fehlten doch, um nur einige bekanntere Namen zu nennen, Isang Yun, Manfred Trojan, Georg Katzer oder der ganze jüngere Komponisten-Umkreis der Insel-Musik, wie Hans-Peter Kyburz, Isabel Mundry oder André Werner. Als Werbeslogan entpuppte sich auch, was im weiteren als Vermischung von Ost und West angekündigt wurde: Nur ein Ensemble war offenbar gemischt Ost-West und wagte es auch als einziges, „Ost-“ und „Weststücke“ zu vermischen: das Streichquartett der Gruppe United Berlin, das mit einem Stück von Jakob Ullmann und dem Gran Torso des Altmeisters Helmut Lachenmann den Glanzpunkt des Ensemble-Abends setzte.

Altmeister gab's noch mehrererlei. John Cages Klavierpräparations- Künsten wurde mit seinen sonates and interludes gehuldigt. Auf dem Ensemble-Programm stand Earl Browns Folio. Nur der Elektronikabend verzichtete auf seine Klassiker.

Herausragendes war leider selten. Herman Keller vielleicht, sowohl als Interpret als auch als Komponist, gleich zweimal vertreten, versuchte neue Wege mit unorthodoxem, klangreichem Flügel-Innenraum-Spiel und offenen Kompositionsformen. Die Amerikanerin Laurie Schwartz fiel durch phantasievolle Elektronik- Verwendung — hauptsächlich zur differenzierenden Verstärkung mehrerer am Saxophon-Körper angebrachter Mikrophone — etwas aus dem Rahmen. Das Stück The Streets war eine der insgesamt nur vier Uraufführungen. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß manche Ensemble und Interpreten komplette, bereits in Berlin gespielte Programme in dieses Forum transportierten.

Dafür gab es im Programmheft einige Verrenkungen zur Erklärung der Stücke. Zum Beispiel der Zwölfzeilen-Text des Ostberliner Komponisten Helmut Zapf. Darin bringt er es fertig, „Form“ indirekt als „Parameter“ und ein zugespieltes Tonband als „Erweiterung der Ausdrucks- Möglichkeit eines Instrumentes“ zu bezeichnen.

Der Selbstdarstellung der Berliner Sektion der Gesellschaft für Neue Musik, deren erfreuliche, da längst überfällige Gründung kaum ein Jahr zurückliegt, wäre vielleicht mit einem bescheideneren Motto und dem Verzicht auf den Vollständigkeits-Anspruch besser gedient gewesen. Schließlich waren es überwiegend junge, weniger bekannte Namen, die das Forum zur Präsentation nutzten. Schuld daran ist vielleicht die übergroße Lust an Texten und ein heimliches Schielen auf die ob der neuen Berliner Hauptstadtsituation auch neu zu verteilenden Gelder.