KOMMENTARE
: Bärendienst

■ Die Humanistische Union arbeitet der Anti-Gauck-Koalition in die Hände

Die Entscheidung der Humanistischen Union, dem Sonderbeauftragten für die Stasi-Akten ihren Preis vorzuenthalten, obwohl sie im Sommer bereits auf der Suche nach einem Redner für die Laudatio war, ist nicht nur ein Akt der Brüskierung — sie ist ein politisch verhängnisvolles Signal. Es mag ja angehen, daß eine Vereinigung wie die Humanistische Union, die seit Jahren für die Auflösung aller Geheimdienste streitet, nur schwer die vom Gesetzgeber verabschiedete Kröte „Zugriff der Nachrichtendienste auf die Stasi-Akten“ schlucken kann. Daß sie sich aber auch gegen das erstmals und einmalig verbriefte Recht auf Auskunft und Einsicht in die von der Stasi illegal angelegten Millionen Dossiers wendet, kann und darf man ihr nicht durchgehen lassen. Ohne die Bürgerrechtsbewegung, aber auch ohne Gauck wäre es soweit nicht gekommen, wäre die Stasi-Hinterlassenschaft unter einem Betondeckel verschwunden und der Zugriff der Dienste auf die Unterlagen ungemein größer. Das Recht auf die eigenen Akten und die die jeweilige Person betreffenden Informationen, dachten wir bisher, sei eine der zentralen Forderungen auch der Humanistischen Union.

Vierzehn Tage vor Öffnung der Stasi-Archive haben deren Vorsitzender Ulrich Vultejus und seine Freunde offenbar noch immer nicht begriffen, wie einschneidend dieser Schritt und wie weitreichend die Folgen sein werden. Zu Recht spricht Gauck davon, daß den ehemals Verfolgten und Betrogenen im SED-Staat jetzt das über sie angehäufte Herrschaftswissen zurückgegeben wird und über das reine Wissen vom Eingriff in die eigene Biographie hinaus auch Rehabilitierungsverfahren möglich werden. Der eingeschränkte Zugriff der Geheimdienste ist dabei von vergleichsweise geringer Bedeutung, obwohl dessen politische Bekämpfung weiterhin Thema bleiben muß.

Ob gewollt oder ungewollt, die HU-Vorständler stellen sich nun in die Reihe derer, die Gauck und seine Mitarbeiter als neue Inquisitoren und als Nachfolger McCarthys denunzieren. Ihr Signal fördert auch die derzeit laufenden Bestrebungen, die Nachlaßverwalter der Staatssicherheit in ihrer Glaubwürdigkeit zu demontieren. An allen Ecken und Enden werden Gerüchte über Aktenfälschungen und -manipulationen gestreut, gerade so, als hätten die hunderttausend Mitarbeiter des Mielke- Ministeriums nichts besseres zu tun gehabt, als imaginäre Aktenberge aufzuhäufen. Der tiefere Sinn dieser Bestrebungen ist leicht zu durchschauen: Was nützt das Öffnen der Archive, wenn kollektiv am Inhalt der Akten gezweifelt wird? An diesem ausgesprochen sensiblen Punkt hat die Humanistische Union der Geschichtsaufarbeitung einen Bärendienst erwiesen. Wolfgang Gast