„Und dann nenne ich meinen Preis“

■ Die Ost-Edelnutte Luisa blickt auf ihre West-Kunden und denkt sich ihren Teil

Plötzlich seine Stimme an meinem Ohr: „Ich geh' jetzt, Zimmer 335, kommst du nach?“ Ohne ihn anzuschauen, flüstere ich geheimnisvoll: „Vielleicht...“ Donnerstag ist ein guter Tag fürs Geschäft, denn Freitag abend schließt der Westmann seine Westfrau in die Arme, und dafür braucht er eine Wichsvorlage. Die bin ich. Gisela in Hamburg und Ines in Dortmund, ihr könnt mir dankbar sein. Ich gebe ihm das, was ihr ihm (zu Recht) verweigert. Oh, ich weiß, was Frauen gefällt, und ich bring's ihm bei. Ihr profitiert davon.

Seine Witze, bei denen euch das Gesicht wie auf Kommando einschläft, erheitern mich. Seine aufgerichtete Männlichkeit, die euch an Spargel- Kochrezepte denken läßt, messe ich mit meinem bescheidenen Maß. Seine einfältigen Sex-Phantasien — mal hier lecken, mal da beißen — kann er bei mir ausleben und wird euch nicht damit behelligen. Und nie wird er euch sein existentielles Problem beichten: „Ich bin 55, ich schaff's einfach nicht mehr, die Treppen zum Büro leichtfüßig zu nehmen, immer eine Stufe auslassend.“

„Mädel, ich mach' das schon...“

Aber vor der Beichte wird gründlich geprahlt — mit Autos, mit Häusern, mit Weltreisen, mit Geld... Dieses Glitzern in den Augen und dann die Rückkehr: „Mädel, bestell dir, was du willst, ich mach' das schon.“ Und während der Kellner mir zuzwinkert und losrennt, der Stammspruch fürs Poesiealbum: „Ich versteh' nicht, warum du das tust, siehst gar nicht so aus.“

Je nach Laune und Gegenüber gebe ich meinen eigentlichen Beruf preis: Sekretärin, Germanistin, Verkäuferin, Philosophin, Schneiderin... Wie bei einem Spielautomaten steck' ich oben den Beruf rein, und unten kommt der Traumjob raus. Die Stunde des Helferkomplexes hat geschlagen: „In meiner Reinigungsfirma arbeiten 32 Mädels, du wärst die Schönste, dich kann ich echt gebrauchen. Ich mein's ernst. Hier: meine Visitenkarte.“ Daheim bei mir stapeln sich die Visitenkarten und die Jobangebote. Geschäftsführer, einer wie der andere. Als gäb's nur diesen Beruf auf der Welt, und alle wollen mich! Immer müssen sie zwanghaft das eine Geschäft mit dem anderen vermischen. Bei mir ist's die Zigarette danach, bei ihm der Satz: „Wann gehst du mit mir essen?“ Ich sag' immer zu — und gehe nie hin. Okay, das ist nicht sehr geschäftstüchtig gedacht, aber die eine Stunde im Bett und die zwei, drei Vorspiel-Stunden an der Bar reichen mir. Ich hab' mein Geld, und sie haben ihre Wichsvorlage, ihre Illusion.

Am liebsten sind mir die Feiglinge. Umgeben von ihren Untertanen, leicht erkennbar als Boß, verraten nur ein paar Blicke über viele Tische hinweg, daß sie mich überhaupt wahrnehmen. Erbarmungslos sind sie dazu verurteilt, auch noch nachts um zwei den Chef zu spielen, mit ihren alternden Sekretärinnen zu flirten und dem Newcomer aufmunternd auf die Schulter zu klopfen. Wie eingemauert stehen sie da und wissen: Wenn sie gehen, dann geht die gesammte Truppe mit — bis zur Zimmertür. Und wie im Chor erschallt der Ruf: „Schlafen Sie gut, Dr. Sowieso!“ Nicht lange danach klingelt das Bar-Telefon, und die Verblüffung ist jedesmal groß, daß ich weiß, wer mich da anruft. Die Anspannung, rein und edel und unantastbar zu sein, fällt schlagartig ab, sobald ich klopfe. Sie lassen sich fallen, und das gönne ich ihnen. Ein bißchen habe ich Mitleid und bin deshalb besonders nett.

„Und dann die Flucht nach vorn“

Manchmal überkommt mich die Lust, Denkzettel zu verpassen. Nachdem ich mir stundenlang angehört habe, wie faul und dumm meine Landsleute sind und wie toll und richtig es ist, die alle zu entlassen, und wie verkommen und verdreckt mein Land ist und das nur deshalb, weil hier niemand gearbeitet hat, und daß nun alles anders wird — dann ergreife ich die Flucht nach vorn. Ja, ich gehe mit. Ja, ich beginne, mich auszuziehen. Und dann nenne ich meinen Preis. Unverschämt hoch. Und jetzt das Gesicht dieser Typen — filmreif! Offener Mund, glotzende Augen. Während ich mich lässig wieder anziehe, wollen sie über den Preis verhandeln. Die Tür fällt ins Schloß. Ich gehe. Das sind wunderbare Momente.

Arme Reiche! Sie wollen nicht nur ihren Spaß, sie wollen nicht nur Samen abschlagen, sie wollen meine Lebendigkeit anzapfen. Aber da ist Geld die falsche Währung. Immer wieder bekomme ich zu hören, daß wir Ostfrauen so ganz anders sind, wir hören zu, wir nehmen uns Zeit, wir schauen nicht auf die Uhr. Und eitel, wie sie sind, glauben sie, die Ursache für unser Verhalten zu sein. Aber ich weiß es besser.

Luisa, 33 Jahre, alleinerziehende

Mutter von drei Kindern, arbeitslose

Bibliothekarin, Gelegenheitsprostituierte,

„Edelnutte“, wie sie sich nennt.