Pioniere im besonderen Einsatz

■ Die Enkel der Biedenköpfe haben die fremden Ostgebiete zur Karriereangelegenheit erklärt. "Go east, young man" so lautet die Devise. Was sie dort wollen, die jungen Besatzer? Natürlich: Geld, Macht und...

Pioniere im besonderen Einsatz Die Enkel der Biedenköpfe haben die fremden Ostgebiete zur Karriereangelegenheit erklärt. „Go east, young man“ — so lautet die Devise. Was sie dort wollen, die jungen Besatzer? Natürlich: Geld, Macht und Einfluß. Aber da lockt noch etwas anderes ...

Eigentlich hängt einem das Klischee zum Halse heraus. Es berichtet eifrig von jenen feinbetuchten Funktelefonisten, die seit knapp zwei Jahren mit den montäglichen Acht-Uhr- Maschinen im Osten einfliegen. Sie kommen zwecks Landnahme oder — um in den Begrifflichkeiten des Einheitsvertrages zu bleiben — um den neuen Bundesbürgern mit Manpower unter die Arme zu greifen. Ihr gesellschaftlicher Unterhaltungswert hat mittlerweile das Niveau von Helmut Kohl angenommen, weshalb kein ernsthafter Kabarettist hierzulande sie noch in sein Programm einbaut. Aber natürlich gibt es sie wirklich. Und der Typus des neuen Besatzers läßt sich ordentlich auf Zeile bringen: Er ist männlich, Mitte dreißig, rekrutiert sich aus dem mittleren Management, kommt aus Düsseldorf und verfügt als Eigenheimanwärter über die statistischen eineinhalb Kinder nebst Au-pair-Mädchen. Und? Was wollen sie? Geld-Macht-Einfluß. Auch. Aber es gibt noch mehr zu holen.

Nahkampfausbildung

Während die über die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Ehren ergrauten Biedenköpfe das verloren geglaubte Land in einem letzten idealistischen Atemzug heimsuchen, haben ihre neomaterialistischen Enkel das fremde Land längst zur Karriereangelegenheit erklärt. Der Auslandsaufenthalt für die Bewerbungsunterlagen kam plötzlich frei Haus. Die Treuhand als staatlich geförderte Karriereanstalt zieht die Musterschüler an wie der Mist die gemeinen Hausfliegen. Geboten wird gut besoldete Nahkampfausbildung auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens. Versüßt wird das entbehrungsreiche Spesenleben zwischen den Pritschen der Nobelhotels und den Grabenkämpfen der Aufsichtsratssitzungen mit streng geheimgehaltenen Dschungel-Zuschlägen — denn bekanntlich wird kein trockener Weißwein im Kriegsgebiet gereicht.

So strömen die neuen Wirtschaftsflüchtlinge ostwärts in jenes Entwicklungsland, welches ihnen seit Herbst '89 per Satellit auf der Designer-Couch präsentiert wurde. Aus hoffnungsvollen No-names werden über Einheitsnacht die Aufschwungs-VIPs, denen das Selbstbewußtsein aus allen Boss-Knopflöchern quillt. Allen Ernstes — gäbe es das in Düsseldorf?! Diese geradezu anarchische Freiheit bei der Anwendung des BWL-Studiums! Diese gutbezahlte Entfaltung nebst lukrativen Nebenerwerbsquellen, da guter Rat nirgends so teuer ist wie hier! Weißwein hin oder her.

Das war's? Keinesfalls. Jene moralinsauren Kolumnisten lügen gedruckt, wenn sie behaupten, unsere Düsseldorfer Wochentags-Leipziger kämen allein der Karriere und des Profits willen ins Reich der DM- Eröffnungsbilanzen. Nein, der wahre Grund, weshalb unsere Aufstreber bekanntes Terrain verlassen, ist der 24-Stunden-Nahkampf. Der Osten hat für die Scheckkarten-Offiziere im besonderen Einsatz mehr zu bieten als schnöden Mammon und Wirtschaftsverdienstkreuze. Das besetzte Gebiet verheißt eine Neuauflage des lustigen Rekrutenlebens, das der deutsche Jung-Mann längst in den Stahlgewittern des bürgerlichen Lebens verloren glaubte. Heidewitzka — siegreich die tägliche Terminkalenderfront abgeschritten, und mit dem wohligen Gefühl in den Eingeweiden, die beste aller Strategien im Tornister zu haben, taucht unser Mann in die langersehnten, alten Rituale lang vermißter Pfadfinderspiele und gönnt sich militante Zerstreuung im Beisein der Kameraden. H e r r lich: Der Ausnahmezustand zwischen Treuhand, Hotel und Nachtclub ist derart generalstabsmäßig geplant, daß er unseren Terminkalender-Leipzigern auch noch sinnliche Abenteuer beschert.

Nachts, wenn die Waffen des Wirtschaftsrechts schweigen, lassen zivilisatorisch längst kompensierte Pupertätsschübe ihren Bauchansatz erzittern. Im Nebel des Rasierwassers vor dem Spiegelbild in Stone- washed-Jeans und Lederjacke pulsiert die Lende, und schon könnte man an die früheren Tage anknüpfen, als die Kondition noch mehrere durchzechte Nächte erlaubte. Blankgewichst stehen die Italo-Slipper vor dem Doppelzimmer, und der Spiegel im leise surrenden Aufzug sagt vom zwanzigsten Stock abwärts nur eines: Was tagsüber dir gehört, kann nachts dir keiner verweigern. In einem Anflug von Übermut fliegt der Zimmerschlüssel in Richtung Rezeption. Der Hotelboy wird zu einem Lächeln genötigt. Bereit zum Ausschwärmen warten schon gutgelaunt die Gleichgesinnten an der Hotelbar. Die Menage-à-trois ist ein eingespieltes Team: Der Aktivist der ersten Stunde verfügt über die beste Ortskenntnis (diese ist leicht zu beschaffen, da die Rennstrecke in Leipzig, Halle oder Schwerin gerade mal eine Handvoll annehmbarer Streckenposten eröffnet) und weist den Studienfreund aus der gleichen Abteilung in die Gegebenheiten ein. Großmütig erinnert man sich dabei des Youngsters im Team, dem nun gezeigt wird, daß es sich als besorgter Familienvater herrlich leben läßt— im Osten.

Die Welt, die die drei nächtens finden, erscheint ihnen so herrlich unkompliziert: Befreit von den mühsamen Ritualen, die ihm die Leistungsgesellschaft westlicherseits auch auf dem Vergnügungssektor auferlegt, stößt unser Mann hier auf wenig Konkurrenz seines Kalibers. Das eheliche Basiscamp in der Hinterhand, den Schulterschluß der Kameraden im Gedränge der Nachtschwärmer fühlend, geht er mit den Augen meilenweit für einen Flirt. Hier ist er Mann, hier darf er's sein. Raumgreifend, frisch gefönt und unendlich locker. Wer stellte es in Frage? Ladadi, ladada — im Disco- HipHop-Beschuß ist die Balz noch ihren Einsatz wert. Taxieren, anlegen, abschießen.

Unter Jammernden

Und die Damenwelt? Blickt auf und gibt sich beeindruckt. Endlich springt Don Johnson zwischen die Herrscharen der jammernden, gedrückten Männer und legt mit einem unwiderstehlichen Lächeln den BMW-Schlüssel auf die Theke. Und während das Klischee sich zu voller Größe aufplustert, steht schon der Gin Tonic vor dem Handtäschchen.

So haben unsere Heiligen Drei Könige aus dem Wirtschaftswunderland im Westen leichtes Spiel und morgens über dem Frühstücksbuffet— bevor der einzig wahre Kampf sie wieder an die Front schickt — mit verschwörerischem Blick etwas zu erzählen: Aufschwung Ost, quasi zum Nulltarif. Die Drinks kann man absetzen. Deshalb: Go east, young man, enjoy yourself. Sollte ihnen in zartem Jünglingsalter jemals der Kamm gestutzt worden sein, hier schwillt er ihnen wieder an. Hand auf die Kriegerbrust: Gäbe es das in Düsseldorf? Nana Brink, Leipzig