Gezeichnet für die Ewigkeit

■ Erste Deutsche Tattoo-Convention in Berlin

Wenn Kunst an Leinwand klebt, hängt sie auf Ausstellungen gewöhnlich an der Wand. Ist sie aber in die menschliche Haut geritzt, dann handelt es sich um Tattoos — und deren adäquate Präsentationsform ist und bleibt die aufrechte Freikörper- Pose. Entsprechend gut beheizt ist dieser Tage die Kreuzberger Kiezdisko Trash, Veranstaltungsort der ersten Deutschen Tattoo-Ausstellung.

Dicht an dicht drängen sich hier in der stickigen Schwüle eines tropischen Terrariums Schaulustige und Tattoo-Profis, Ganzkörper-Tätowierte und solche, die es werden möchten. Es ist ein Ort des Schauens. Bärbeißige Harley-Fans mit Muscle- Shirt und Lederkäppi lassen sich bereitwillig bestaunen. Stolz zeigen sie ihre hautenen Kunstschätze vor: wie meine Mutter die Fotos ihrer Enkelkinder.

Bobo und Jürgen

Bei Bobo aus Berlin sitzt ein breitschultriger Hüne in Unterhose auf dem Stuhl und läßt sich geduldig den sehnigen Oberschenkel verschönern. Bereitwillig lupft Jürgen für mich seine Klamotten und streicht liebevoll über seinen segelnden Totenkopf. Überhaupt: In jedem Winkel stehen durchtrainierte junge Männer, ziehen ungeniert ihre Hosen runter oder die Hemden hoch über den Kopf. Man zeigt sich gegenseitig stolz das neue, große »Rückenpiece«, fotografiert sich — »erst ich dich, dann du mich!« — und hält ein fachkundiges Pläuschchen über Motive, Preise und die besten Künstler. Dann schiebt sich weiter, wer ein Schlupfloch findet und durchstreift erneut das Dickicht des stichelnden Angebots.

Wie ein kaum merklicher Oberton hängt das geschäftige Summen und Surren der Tätowiermaschinen in der Luft. Fünfundzwanzig Tätowierer aus neun Ländern zeigen noch bis heute abend im Trash ihre Kunstfertigkeit im Umgang mit Elektrostichel und Farbtöpfchen. Sie sind allesamt Meister ihres Fachs.

Freihändig

Mit bemerkenswerter Präzision und stoischer Ruhe zaubern sie im Chaos des Eröffnungsandrangs wunderschöne »Free-Hand-Tattoos« auf die zarte Haut ihrer zu allem entschlossenen Kunden. Das Publikum drängt sich fasziniert um die kleinen Studio- Nischen und verfolgt gebannt das Sticheln und Wischen, Tupfen und Sprühen. Ganz allmählich entsteht auf der frisch rasierten, nackten Haut das filigrane Motiv einer rankenden Lilie. Immer wieder muß die überschüssige Farbe entfernt und die Haut neu desinfiziert werden. Es ist ein mühsames und schwieriges Handwerk.

Thomas ist extra aus Lübeck angereist, um sich hier und heute eine alte Unterarmtätowierung überarbeiten zu lassen. Mit hochrotem Kopf läßt er das Stich und Wisch über sich ergehen, das ihm am Ende der zweistündigen Prozedur ein recht martialisches Motiv bescheren wird. Wenn in wenigen Tagen die Hautschwellung nachläßt und sich der Schorf verflüchtigt hat, wird der schwarze Panther auf seinem Arm auf ewig mit einer wilden Pythonschlange kämpfen.

Start mit Pelikano

Die meisten Aufträge der Freihand- Tätowierer sind Nachbesserungen alter Zeichnungen, die dem Kunden nicht mehr gefallen. So wird das Erstlingswerk der klassischen Rose zum kaum merklichen Detail eines viel größeren Tattoos — oder die »H-A-S-S«-Zeichen auf den Fingern mutieren zu kleinen, schmucken Taschenkrebsen. Viele beginnen ihre Tattoo-Karriere immer noch mit dem Pelikano und Mutters Stopfnadel. Nach der ersten dilettantischen Jugendsünde gerät die Tattoo-Faszination dann für Jahre in Vergessenheit, bis ein Zufall oder die Bekanntschaft mit einem tätowierten Menschen den Gedanken an die Ewigkeitskunst wieder neu belebt. Ist der Entschluß zum Profi-Tattoo gefaßt, beginnt zuweilen eine zähe Motivsuche.

Auch Hermann aus Kreuzberg ist sich noch nicht sicher, welchen Inhalts seine Tätowierung sein soll. Er will sich hier ein wenig umsehen und Anregungen einholen. Vielleicht ein Drachen oder doch ein schlichtes Ornament? In jedem Fall soll die Tätowierung schwarz-weiß sein, denn ein Blick in die Runde der Versammelten hat ihm gezeigt, wie schnell die bunten Tattoos an Farbe und Leuchtkraft verlieren. Die menschliche Haut schuppt sich, ob tätowiert oder nicht, drei- bis viermal im Jahr. Wenngleich Tattoos auch immer noch eine Entscheidung fürs Leben sind, werden die Farben doch mit den Jahren in jedem Fall blasser und machen ein Nacharbeiten in regelmäßigen Abständen nötig.

Kunden-Typen

Unter den Tätowierwilligen gibt es zwei Typen, erklärt mir eine junge Tattoo-Meisterin aus Kassel. Die einen machen es sich sehr schwer mit der Auswahl des Motivs und hadern lange mit dem Wo und Wie. Als Kunden sind sie zwar etwas anspruchsvoller, aber Carola trotzdem die liebsten. Bei ihnen kann sie ihre ganze Phantasie entfalten, das Motiv genau auf den jeweiligen Körper abstimmen und so lange Skizzen anfertigen, bis das Bild perfekt zum Körper des Kunden paßt. Benedikt war so ein »schwieriger« Kunde. Weil ihm die Berliner Tattoo-Studios nicht so recht zusagten, fuhr der Krankenpfleger nach Hessen, um sich von Carola, deren Strich ihm gefiel, seinen Phantasie-Vogel auf die Brust arbeiten zu lassen. Mit einem Tinten- Entwurf kam er für drei Tage nach Hause zurück. Beäugte sich immer wieder im Spiegel, bis er sicher war, daß er seine Entscheidung nicht bereuen würde. Seit fünf Wochen umschmeichelt nun eine pfauenartige Schwanzfeder seinen muskulösen Bizeps und noch immer starrt er morgens vor dem Spiegel fasziniert und gebannt auf diesen neuen Teil seiner Persönlichkeit.

Anderen Kunden geht es weniger um das individuelle Motiv, als um das Tätowieren als solches. Kurz entschlossen suchen sie sich ein hübsches Bild aus dem Katalog und lassen sich gleich hier und jetzt tätowieren. Der jagende Panther, die üppige Rose oder der kämpfende Drache sind für sie Eintrittskarten zu einer immer noch verschworenen Gemeinschaft. Nicht das konkrete Bild auf dem Schulterblatt ist wichtig, es zählt vor allem das Tätowiertsein.

Unvergänglich

»Das braucht auch niemand zu sehen!« meint Detlef, ein junger Schlagzeuger. »Es ist das Wissen, das es da ist.« Sein Oberkörper ist fast schon rundum tätowiert, jetzt geht es nur noch ums sogenannte »Lückenschließen«. Er zeigt mir seine beiden Prunkstücke: ein schlagzeugspielendes Skelett und zwei surfbegeisterte Totenköpfe. Die große Faszination der Tattoo-Szene für Todesinsignien habe etwas mit der Unvergänglichkeit der Bilder zu tun, erklärt er mir. Man schließt eben einen Bund fürs Leben mit seinen Tattoos. Ist gezeichnet für die Ewigkeit — und darüber hinaus. Bei aller Begeisterung für seine Tätowierungen achtet aber auch Detlef darauf, daß er, wo nötig, seine Tattoos unter Hemd und Hose verstecken kann. Gesichts- und Handflächen-Arbeiten sind, wie Genitaltätowierungen, in der deutschen Profiszene tabu. Die Sternchen auf der Rockerstirn oder der Skorpion an den Kotletten bleiben auch auf der Convention selten und haben oft genug eine ganz unerwartete Vorgeschichte: In der kleinbürgerlichen DDR, die das Tätowieren grundsätzlich unter Strafe gestellt hatte, waren nämlich Gesichtstattos gewissermaßen ein Freiticket in den Westen. Wer sich in einem sozialistischen Knast an so exponierter Stelle tätowieren ließ, wurde mit ziemlicher Sicherheit nach der Haftentlassung in den Westen abgeschoben. Ein folgenreiches und unumstößliches Kalkül.

Rechtsanwälte

Seit sich die professionelle Tätowiertechnik entscheidend weiterentwickelt hat und damit noch prächtigere und buntere Motive möglich geworden sind, hat sich auch das Image der Tattoo-Studios verändert. Rechtsanwälte, Ärzte und Jungmanager gehören inzwischen zu den Kunden guter Studios — und auch der Frauenanteil in der Szene wird ständig größer. Davon profitieren vor allem die wenigen weiblichen Tätowierkünstler, die sich häufig darauf spezialisieren, andere, weniger machistische Motive zu entwerfen. Gabi ist zum Beispiel sehr stolz auf die besonderen Jugendstiltattoos auf ihren beiden Oberarmen. Als Bankangestellte muß sie zwar immer darauf achten, daß kein Kunde an den Tätowierungen Anstoß nimmt; aber hier auf der Convention, als Gleiche unter Gleichen, genießt sie es, sich einmal freizüglich im schwarzen Glitzertop zu präsentieren. Tattoo ist eben auch eine ganz besondere Form von erotischer Eitelkeit. Der Körper wird zum Kunstwerk, Nacktsein ein Zustand der artifiziellen Präsentation. Ein Bund fürs Leben. Mit der Kunst. Klaudia Brunst