Dann kommt Tasso

■ Goethes Dichter in Darmstadt

Champagner und Austern auf dem Rasen: es ist Picknickzeit. Aber das Gras ist von einem Raubtierkäfig eingefaßt. Er nimmt die gesamte Bühne ein und hat die Exklusivität einer kurfürstlichen Parkbegrenzung mit vergoldeten Spitzen. Auf dem Rasen sitzen die beiden Leonoren. Gräfin Scandiano kichert verspielt, die Prinzessin blickt ernst. Ihr ist nicht zum Lachen. Wenn die Gräfin aber die Goethe- Verse vergessen zu haben scheint, steigt die Prinzessin in ein Spiel ein: Sie erfinden den Text, spielen mit Goethe. Und dann kommt Tasso.

Es wird lange dauern (bis zum Ende des Stücks), bis wir wissen, warum Eva Diamantsteins Darmstädter Inszenierung so geglückt beginnt, uns dann aber mit einem Torquato Tasso alleine läßt, der Dichter sein soll, von dem wir aber keine bewegende Zeile erwarten. Einer, dessen linke Hand gekünstelt zuckt und der weder sanft-naiv noch stürmisch- unberechenbar ist, weder verletzlich noch verletzt. Fürst Alfons und die Prinzessin rühmen den Dichter, nehmen seine Dichtung aber nicht zur Kenntnis. Was Tasso allerdings nur am Rande registriert. Selbst wenn Fürst Alfons das pflichtgemäß abgelieferte Manuskript immer wieder achtlos zu Boden fallen läßt, bis es ein wirrer Haufen ist, scheint der Dichter seltsam ungerührt.

Warum? Wir wissen es, wie gesagt, am Ende. Die fürstliche Gesellschaft steht reisefertig, und eigentlich müßte alles in den begütigenden Goethe-Schluß einmünden: die Aussöhnung Tassos mit Antonio. Eine Aussöhnung, die der Regisseurin nicht paßte. Sie stellt statt dessen einen Dichter auf die Bühne, der sich in einem nicht endenden Monolog verliert, während die Bühnenarbeiter bereits den Raubtierkäfig abbauen. Tasso ist endgültig zur egomanischen Redemaschine geworden, dem alle mehr oder weniger amüsiert zuhören. Eine gelungene Pointe könnte das sein, hätte Diamantstein ihren Tasso (Marcus Kaloff) nicht von vornherein so blutleer inszeniert. Einer, der zu Recht nicht mehr beachtet wird, weil er nichts von jenem zweifelnden In-sich-Forschen zeigt, das bei aller Selbstinszenierung spürbar sein müßte. Er ist ein Konstrukt, in starkem Kontrast zu Prinzessin Leonore, die mit jeder Geste den eigenen inneren Umschwüngen nachspürt. Und in der Darstellung von Christiane Krüger wird jedes Zucken ihrer Wimpern zum Signal. Wenn sie dasteht, gleichzeitig in sich gekehrt und das Terrain sondierend, ist das spannender, als wenn Tasso mit seiner Kritik der höfischen Verhältnisse an den Gittern hochspringt, hechelnd wie ein Affe.

Darmstadts Antonio ist ein technokratischer Diplomat, der den „nichtsnutzigen“ Dichter verachtet, von Timo Berndt kühl-überlegen gespielt. Das könnte eine reizvolle Konfrontation ergeben (der kühle Technokrat gegen den vulkanischen Dichter), würde nicht auch dieser Konflikt durch Tassos zu glatte Selbstinszenierung entschärft. Antonio übrigens, so deutet die Inszenierung an, hat etwas mit Gräfin Scandiano. Tasso dagegen geht ganz offensichtlich zur Sache — merkwürdigerweise —, und Fürst Alfons ist weder Fisch noch Fleisch, weder feudalistischer Mäzen, noch aufgeklärter Gönner. Jürgen Berger

Johann Wolfgang Goethe: Torquato Tasso . Regie: Eva Diamantstein, Bühne und Kostüme: Gralf- Edzard Habben. Mit Wolfgang Jaroschka, Christiane Krüger, Christina Rubruck, Marcus Kaloff, Timo Berndt. Staatstheater Darmstadt.

Weitere Aufführungen: 20., 21., 26.Dezember