Der Niedergang der Sowjetunion trifft die Wirtschaft der Slowakei

Bratislava (afp) — Die Slowakei, mehr als 40 Jahre lang Hauptlieferantin der UdSSR für Halbfertigwaren, befindet sich derzeit in einer Wirtschaftskrise, die weit schwerer ist als die in Böhmen und Mähren. Für Jan Carnogursky, den christdemokratischen Ministerpräsidenten, ist klar, daß der Slowakei, wo die Zahl der Arbeitslosen dreimal so hoch sei wie auf tschechischem Gebiet, mit Sondermaßnahmen der Rücken gestärkt werden muß. Notwendig sei eine „wirtschaftliche Umstrukturierung“ zugunsten der slowakischen Bevölkerung.

In der Slowakei lag die Arbeitslosenrate amtlichen Statistiken zufolge im September bei zehn, in der Tschechei bei vier Prozent. Die böhmisch- mährische Industrieproduktion sank demnach zwischen Januar und September 1991 um 20,6 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, die slowakische Industrieproduktion hingegen um 23 Prozent. Auch von der Preissteigerungsrate war die Slowakei stärker betroffen als Böhmen und Mähren: 53,4 Prozent gegenüber 48,1 Prozent für die ersten neun Monate 1991.

Der Hauptgrund: nach 1948 betrieb die KP in der Slowakei eine massive Industrialisierung, die sich an den Bedürfnissen der Sowjetunion und der anderen Staaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) orientierte. Riesige Kombinate für die Schwer-, Chemie- und Zementindustrie entstanden in der Slowakei, die fortan in erster Linie Böhmen und Mähren und die UdSSR mit Halbfertigwaren belieferte. Deswegen trafen der Zusammenbruch des RGW, der Verlust des sowjetischen Marktes und die Streichung der staatlichen Subventionen die Slowakei mit voller Wucht.

Die Entscheidung der tschechoslowakischen Regierung, die Rüstungsindustrie mit ihren 120.000 Beschäftigten einzuschränken und auf zivile Produktion umzustellen, brachte einen weiteren Massenabbau von Arbeitsplätzen mit sich. Die besondere Lage der Slowakei müsse deswegen bei den wirtschaftlichen Reformplänen berücksichtigt werden, fordert der slowakische Vize- Finanzminister Belo Bosak. Ohne staatliche Finanzhilfe gebe es bald nichts mehr zu privatisieren.

Der ultra-liberalen Politik der angelsächsischen Berater des tschechoslowakischen Finanzministers Vaclav Klaus kann die slowakische Regierung jedoch nichts abgewinnen. Sie ist statt dessen überzeugt, daß der Staat eine wesentliche Rolle spielen sollte — nicht zuletzt was die soziale Absicherung beim Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft betrifft.