Kein Zündstoff in der Konsenswolke

■ JournalistInnen diskutierten auf Einladung der Evangelischen Medienakademie über Flüchtlinge, Rassismus und die Frage, wieviel Fremdes der Mensch verträgt/ Auch die Rolle der Medien im Zusammenhang mit Fremdenhaß sollte erörtert werden, doch die Chance wurde verschenkt

Mainz (taz) — Die Pogromstimmung scheint erst mal vorbei. Hünxe und Hoyerwerda sind lokalisiert und zu Synonymen geworden — und damit vorerst Vergangenheit. Statements von Skinheads vor laufender Kamera haben ihren Sensationswert verloren, wie Meldungen über Gewalt gegen Flüchtlinge. Politiker demontieren zwar weiter am Asylrecht, aber auch hier: leichte Übersättigung bei den Medien. Das Thema ist nicht mehr tagesaktuell, außer für die direkt Betroffenen. Zeit also für Journalisten, sich fortzubilden.

Eingeladen hatte die Evangelische Medienakademie, „Brot für die Welt“ und „Dienste in Übersee“. Hintergründe und Ursachen von Fluchtbewegungen wollte man aufzeigen, Ängste und Chancen analysiren, die mit einer „multikulturellen Gesellschaft“ verbunden sind. Wer auf die Reihen der TeilnehmerInnen und ReferentInnen sah, dem wurde eher Monokultur geboten — abgesehen von zwei Schweizern, einem Österreicher unter den ReferentInnen sowie einer indischen NDR-Redakteurin, die nach eigenen Worten „sehr gern mal wieder die Alibifunktion“ übernahm. Immerhin, das abendliche Kulturprogramm blieb dem türkischen Autor Zafer Senocak und dem türkischen Musiker Metin Demirel überlassen. Kein Wunder also, daß die Tagung in einer seltsam behäbigen Harmonie verlief. Man wußte sich einig — ob nun der Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissariats der UN (UNHCR), Walter Koisser, über die Reformbedürftigkeit der internationalen Flüchtlingshilfe referierte, der Schweizer Soziologe Jean Ziegler in drastischen Formulierungen die Eskalation des Nord-Süd-Konflikts beschrieb oder die Mitarbeiterin des Bonner Büros der Ausländerbauftragten, Beate Winkler, die skandalösen Zustände der deutschen Ausländerpolitik skizzierte: Ein übergreifendes Politikkonzept — angefangen von einem Eiwanderungsgesetz über die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft bis hin zu einer pragmatischen Minderheitenpolitik — all das gehört in Deutschland weiterhin in den Bereich des „Science-fiction“. Wer wie Beate Winkler zum x-ten Mal erlebt hat, wie das Stichwort Asyl vor Wahlkämpfen automatisch in den Redemanuskripten der Politiker auftaucht, kann dahinter nur noch Kalkül vermuten: „Ein Politikkonzept ist gar nicht erwünscht, weil man sich sonst in einen wahltaktischen Manövrierraum begeben würde.“ Zustimmendes Kopfnicken allenthalben, und keiner fragte, welche Rolle denn die Presse bei solchen Manövern spielt.

Abseits der gesellschaftspolitischen Analyse versuchte die Schweizer Psychoanalytikerin Ursula Baumgardt, Fremdenhaß und Rassismus einmal mit den Kategorien der Individualpsychologie zu erfassen. Zentral sei dabei der Begriff der „Ich-Identität“. „Je stabiler die ist, desto mehr ist es für Individuen wie Kollektive möglich, Fremden gegenüber aufgeschlossen zu sein.“ Doch Identität „hat man nicht einfach. Der Mensch verliert sie wieder, muß erneut darum ringen. Das ist ein lebenslanger Prozeß.“ Identitätskrisen würden verursacht, wenn „zu heterogene, zu traumatische Anforderungen an das Subjekt gestellt werden“. Fremdenhaß sei letztlich ein Ausdruck einer kollektiven Identitätskrise. Eine einigermaßen starke Identität kann nach Baumgardt aber nur entwickeln, wer sich der „Vergangenheitsbewältigung“ stellt. Genau an diesem Punkt wurde das Individuell-Persönliche wieder politisch: Weder in der Schweiz noch in Deutschland zeichnet sich Bereitschaft ab, sich verstärkt mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Schlechte Aussichten für eine Stärkung der Ich-Identität und souveräneren Umgang mit Fremden.

Inmitten dieser Konsenswolke hätte der Vortrag des Psychologen und Kommunikationswissenschaftlers Jo Groebel für Zündstoff sorgen können. Der Professor von der Universität Utrecht hatte sich die Rolle der Medien bei der öffentlichen Diskussion um Rassismus, Asyl und Migration vorgenommen. Er wies zunächst die These zurück, rassistische Botschaften seien eine Eigenart der Boulevardzeitungen. Vielmehr wollte er den „Mythos der Qualitätspresse“ entzaubern — und damit auch die Selbsteinschätzung derer, die sie machen, und derer, die sie konsumieren. „Der Mensch“, so Groebel, „hat von sich selbst ein sehr viel besseres Image, als er tatsächlich ist.“ Vor allem, wenn es um vermeintlich rationales, vorurteilsfreies Handeln geht. Denn Groebel hat im vereinigten Deutschland eine neue „heimliche Grenze“ ausgemacht. „Da sind ,wir‘, die rational Handelnden, wozu sich z.B. Journalisten und Wissenschaftler zählen; und da sind ,die anderen‘“. Die Rechten, die Unaufgeklärten, die Skinheads, die Ausländerfeinde. Dabei sind auch die Handlungen der „Ausländerfreunde“, ob in den Medien oder in der Politik, so rational nicht. „Jeder“, sagt Groebel, „hat Vorurteile. Wenn nicht gegen Ausländer, dann vielleicht gegen die Deutschen, die was gegen Ausländer haben.“ Vor allem aber attackierte Groebel die bei „ausländerfreundlicher“ Qualitätspresse so weit verbreitete Reaktion auf Rassismus und Fremdenhaß: Mitleid mit den Opfern, das sich oft weniger in Texten als in Bildern ausdrückt. Der Mitleidseffekt, wie er z.B. durch Bilder dichtgedrängter Menschenmengen vor der Asylbehörde oder in Wohnheimen erzeugt werden soll, „kann fatale Folgen haben“, warnt Groebel. „Denn er stört das eigene Bild einer schönen Welt“ und könne letztendlich zu mehr Ärger und Aggressionen auf das „Mitleidsobjekt“ führen.

Kritik mußte sich die Qualitätspresse auch bezüglich ihrer Themengewichtung anhören. Rassismus und Übergiffe auf Ausländer seien in einer Weise „thematisiert und massiert“ worden, die der Entwicklung eine Eigendynamik verliehen hätten. Was Groebel schließlich als provozierende Frage ins Publikum zurückgab: „Wurde Hünxe vielleicht erst möglich durch die Berichterstattung über Hoyerswerda?“ All dies hätte genügend Konfliktstoff für die abschließende Podiumsdiskussion geboten. Da hatten sich immerhin Anne Volk, Chefredakteurin von 'Brigitte‘, Peter Sartorius, leitender Redakteur der 'Süddeutschen Zeitung‘, Georg-Paul Hefty von der 'FAZ‘, Navina Sundaram-Rummel, Weltspiegel-Redakteurin beim NDR und als Moderatorin Ulrike Holler vom Hessischen Rundfunk eingefunden. Doch statt dessen ritualisierte man, wie gehabt, das eigene richtige Bewußtsein. Die einen beschworen ihre jahrzehntelange internationale Tradition, die anderen kündigten zur Weihnachtszeit mehr Reportagen „über die Menschen, um die es eigentlich geht“, an. Der Vertreter der 'FAZ‘ problematisierte immerhin das Schlagwort der „multikulturellen Gesellschaft“: Bei allem Sinn für Toleranz, gewisse multikulturelle Begleiterscheinungen wie z.B. die Infragestellung des Frauenwahlrechts in Algerien will Georg-Paul Hefty kompromißlos bekämpfen. Da wunderte sich so manche Frau im Publikum über den unverhofften Sekundanten in Sachen Feminismus. Ausländer, wären sie in Mainz dabei gewesen, hätten sich oder Herrn Hefty gefragt, ob die 'FAZ‘ demnächst mit dem gleichen Engagement nicht nur das Frauenstimmrecht gegen Fundamentalisten, sondern auch das Ausländerwahlrecht gegen die Hüter deutschen Blutes in Bonn und Karlsruhe verteidigen wird. Andrea Böhm