Banalitäten eines Erlauchten

■ Der Schriftsteller Peter Handke und sein Hang zum „Wesentlichen“ in der Politik

Rituale der Selbstvergewisserung sind keineswegs das Vorrecht der Linken. Zu denen, die den Zerfall Jugoslawiens den Machinationen des neuen „großdeutschen“ Reiches zuschreiben, hat sich seit einigen Monaten auch Peter Handke gesellt, bekanntlich kein Kolumnist von 'Konkret‘.

Man könnte über eine Haltung, die das Verhältnis der Völker Jugoslawiens in der Nachkriegszeit als Bruderbund und als Vorbild für ein künftiges Europa preist, einfach schweigend hinweggehen, käme darin nicht eine alte, gefährliche deutsche Untugend zum Ausdruck: der Hang zum „Wesentlichen“ in der Politik.

Für Handke ist die Unabhängigkeit Sloweniens gleichbedeutend damit, daß Landschaft und Menschen im Zeichen des triumphierenden (großdeutsch beherrschten) Marktes „entwirklicht“ werden, untergehen in den Einheitsnormen Westeuropas. Er klagt die slowenischen Politiker des „Egoismus“ an, weil sie das Ideal der Föderation verraten hätten — und das des Opportunismus. Denn noch vor zwei Jahren hätte kein Mensch in Ljubljana an die Unabhängigkeit gedacht, geschweige denn sie gefordert. Nicht mehr einen korrupten und unfähigen zentralen Apparat finanzieren zu wollen ist demnach moralisch verwerflich. Man muß am Prinzip festhalten, an der Idee, sonst versackt man im Morast des „Politischen“, verkommt zum geistfeindlichen Macher. Daß eine Idee sich an der Wirklichkeit blamieren, daß sich als human gedachte Projekte realisiert als menschenfeindlich herausstellen können, ist für diese Art von Essentialismus bedeutungslos.

Gramsci schrieb einmal sinngemäß, daß politische Probleme unlösbar werden, wenn man sie kulturell „besetzt“. Wie im Fall des kulturell determinierten Anti-Amerikanismus verhindert auch der Abscheu vor einer angeblichen europäischen Einheitszivilisation jede sinnvolle Diskussion darüber, wie das Unverwechselbare und Schöne der Menschen, Städte und Landschaften jeder europäischen Region, wie die bedrohte „Lebenswelt“ tatsächlich verteidigt werden kann. Leute wie Handke artikulieren sich im Jargon der Eigentlichkeit, sind deren Priester. Wie die Slowenen leben und welche Wünsche sie äußern, ist ihnen gleichgültig, oder vielmehr, es dient nur der Befestigung ihres Verdikts. Diese Einsicht ist nicht gerade bestürzend neu. Bestürzend und deprimierend ist hingegen die Haltung eines Fernseh-Kulturmagazins (ttt), das noch die letzten Banalitäten des Erlauchten demütig und bar jeder Kritik entgegennimmt. Christian Semler