Meditative Versenkung in Lärm und Benzol

■ Der Hermannplatz an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln, der Mett-ropole von Kampfhund, Sixpack und Freizeitanzug/ Kletterrose und Springbrünnlein verzieren den Autoterror/ Hermann der Cherusker oder Hermann Boddin?

Hermannplatz. Die Möbelwagen des Gartenbauamts Neukölln und der Senatsbauverwaltung kamen 1982: Zu Beginn der postmodernen Frontstadtphase wurde der Hermannplatz für mehrere Millionen mit allerlei Staubfängern aufgepeppt. Nach zwanzig Jahren Planung galt es, einen »Bürgertreff mitten im Verkehrsgewühl« zu schaffen, wie die Verwaltenden es ausdrückten, um da, wo eigentlich nur Auto ist, auch Kletterrose und Springbrünnlein werden zu lassen. Die Blumen kamen nie oder sind inzwischen eingegangen. In der Mitte des Platzes geblieben sind freistehende Säulen mit goldenen Hermes- oder Arminiusfiguren, Granitbecken, umrundet von 40 Zentimeter breitem Rasen, ein paar Patinalaternen, schockweise Sitzbänke und zwei auf antik getrimmte Imbißhäuschen.

Genug, um das zwei- und vierbeinige Leben an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln pulsieren zu lassen. Zur Vermeidung unschöner blutiger Zusammenstöße wurde die »freudlose Steinoase«, wie die Lokalpresse den Hermannplatz einmal ungewöhnlich schamlos nannte, an allen vier Seiten abgegittert wie ein Laufstall. Auf die Idee, ihn mit Sperren quer über die Fahrbahnen vor dem Autoterror zu schützen oder ihm ein Freiluft-Café und ein paar nette Restaurants zu verpassen, kam niemand. Hier gibt es nur Kettenshops und Karstadt.

Obwohl mit dieser Zweckkosmetik die Optik des Platzes nicht grundlegend verändert wurde — auch in den sechziger und siebziger Jahren zierten seine schmalen Bordsteingevierte Uhren, Telefonhäuschen und Imbißbuden —, blieb die Bürokratie optimistisch. Wohl wegen der Erfahrungen, die andere woanders machten: »An der Karl-Marx-Straße sind die Bänke selbst an kalten Tagen so voll, daß wir Platzkarten ausgeben könnten. Viele Bürger wollen den Verkehr bewußt erleben und ziehen ein Plätzchen mitten im Tun und Treiben einer stillen Parkbank vor.« Wer sagt denn, daß der Platz an der Sonne nicht auch Autobahnanschluß haben darf? Vermutlich sind den Einkaufenden, die mit blinzelnden Augen aus der U-Bahn nach oben kommen, die himmlischen Ruhephasen der roten Ampeln an den Längsseiten des Hermannplatzes so richtig zuwider. Deshalb überqueren sie stets so schnell, wie es geht, den Ort und verschwinden im großen Tor des Kaufhauses Karstadt, statt sich meditativ in Lärm, Benzol, Kohlenmon- und Kohlendioxid zu versenken.

Nicht unnett ist das Pflaster, das den Asphalt ersetzte und auf dem nun regelmäßig Verkaufsbuden stehen. Der Hermannplatz dürfte eine der wenigen Verkehrsinseln der Stadt sein, auf denen es einen — wenn auch engen — Wochenmarkt gibt. Weitläufig und ruhig war der Platz auch 1929 nicht gewesen, als Karstadt hier das »modernste Kaufhaus Europas« fertiggestellt hatte, mit Haltestellen für 19 Straßenbahnlinien vor der Tür.

Das größte am Kaufhaus Karstadt ist heute sein Parkhaus

Die große, graue Kaufhauskathedrale mit ihren hohen martialischen Türmen hatte Ende der zwanziger Jahre 37.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Und wäre sie nicht 1945 durch den Sprengstoff der Waffen-SS bis auf die Grundmauern niedergebrannt, was wäre heute das KaDeWe? Und was bitte wäre heute Neukölln, die Mett-ropole im Zeichen von Kampfhund, Sixpack und Freizeitanzug? Aber fromme Wünsche beiseite: Erst 1975 erreichte das Kaufhaus wieder 20.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, aber heute nimmt wohl das Parkhaus den größten Raum in dem um viele Stockwerke verkürzten Karstadt-Karree ein.

So richtig ausspannen konnte man etwa um 1720 am Hermannplatz — und zwar die Pferde. Damals lag der Ort weit weg von Berlin noch als »Platz am Rollkrug« am Fuße der Rollberge — benannt nach einer berüchtigten Kneipe und Ausspannstation. 1818 wurde das Gasthaus von einem Wirt gekauft, der den »Rollkrugverein« zur Förderung der Enthaltsamkeit von spirituellen Getränken gründete und selbst nur noch Bier ausschenkte.

Wer war denn nun eigentlich der echte Hermann?

Erst 1885 wurde der Platz nach Hermann benannt, und bis heute ist noch umstritten, welcher Hermann den Namen gab. Der Cherusker, der die Römer ordentlich keilte, oder der Bürgermeister Hermann Boddin (1844-1907)? Die Akten des Bezirksamts sind eindeutig: Boddin war's, obwohl dessen Schwager bereits 1924 im 'Neuköllner Tageblatt‘ dementierte. Der bescheidene Bürgermeister, so der Verwandte, hätte seinen eigenen Namen niemals zugelassen und sei zu allem Überfluß auch noch ein Verehrer des deutschen Ur- Feldherren Hermann aus dem Teutoburger Wald gewesen.

Sei es, wie es ist, zwei Gesuchen, den Namen wieder zu ändern, hat der doppelte Hermann schon widerstanden. Im Jahre 1965 sollte der Platz nach Joachim Lipschitz benannt werden, doch der Antrag scheiterte. Im Jahre 1989, zur Zeit der rot-grünen Koalition, forderten die Nachwuchssozis von den »Falken« im Verein mit der alternativen Jugendsenatorin Anne Klein einen »Hiroshima- Platz«. Doch auch dieses Ansinnen blieb aussichtslos — war doch im Tiergarten schon die militaristische Spee-Straße in Hiroshima-Steig umbenannt worden. So blieb der Keulenschwinger knapp verschont. Ein Glück, denn im prolligen Kreuzberg hätte der Hiroshimaplatz mindestens so deplaziert gewirkt wie die neue Toleranzstraße im Treuhand- und Regierungsviertel.

Richtig schön ist der Hermannplatz nur im Untergrund

So richtig schön ist der Hermannplatz nur im Untergrund. Im staubigen U-Bahnhof mit seinem eleganten indirekten Licht, den quietschgelben Kacheln und dem für Berliner Verhältnisse erstaunlich hohen unteren Bahnhofgeschoß kommt eine Ahnung vom früheren modernen Stil des ganzen Ensembles auf — auch wenn hier alles ständig staubt, weil die Schnittstelle der hellblauen und lila U-Bahn-Linie seit Jahren restauriert wird. Immerhin kommt man, wie einst, direkt vom Bahnsteig ins Kaufhaus.

Wenn hier die letzte Fliese verlegt ist, wird der Bahnhof unter der aufgemotzten Verkehrsinsel Hermannplatz endgültig ein Museum sein, allein deshalb, weil er die vielen Fahrgäste, die der Mauerfall hierher gebracht hat, kaum noch fassen kann. Ein Museum aber auch für das, was über Tage einmal war und jetzt nur noch unten ist. Hans-Hermann Kotte