DER WEIHNACHTSMANN IN DUBLIN Von Ralf Sotschek

Natürlich laufen auch auf der grünen Insel die Weihnachtsvorbereitungen auf vollen Touren. Doch es gibt ein kleines Problem: Die Weihnachtsmänner sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Im gigantischen Einkaufszentrum „The Square“ in der Dubliner Trabantenstadt Tallaght treten sie zu dritt auf. Jeder von ihnen hat es sich hinter einem Vorhang am Ende eines Korridors bequem gemacht. Dutzende von Kindern warten vor dem Vorhang, bis sie einzeln hereingerufen werden, um ein kleines Geschenk in Empfang zu nehmen. Allerdings müssen die Eltern vorher an der Kasse ein Ticket kaufen, das den Wert des Geschenks mühelos übersteigt. Ein Fotograf ist auch dabei, um die denkwürdige Begegnung mit dem Weihnachtsmann für das Familienalbum festzuhalten — wiederum gegen Bares, versteht sich.

Freilich geht es nicht immer so glatt wie geplant. Da die Arbeitslosigkeit in Tallaght sehr hoch ist, hat der Manager des Einkaufszentrums lobenswerterweise Jugendliche aus dem Viertel eingestellt, die für knapp neun Mark die Stunde tagtäglich den gutmütigen, weißbärtigen alten Mann mimen müssen. Vor den Tücken des Jobs hat sie allerdings niemand gewarnt. Ihnen wurde auch nicht mitgeteilt, daß Weihnachtsmänner heutzutage nicht mal Kleinkindern Respekt einflößen. So war die Katastrophe vorprogrammiert.

Als ein Dreikäsehoch in der vergangenen Woche dem Weihnachtsmann den Bart abriß, verlor dieser — ein für diese Rolle unnatürlich großer und dürrer Mensch — die Nerven. Er brüllte den kleinen Hooligan an und schreckte dabei nicht vor unweihnachtsmännischer Sprache zurück: „Fuck off!“ Der Vater des Kindes, dessen Illusionen über den liebenswürdigen Alten wie eine Seifenblase geplatzt waren, rächte sich mit einem Hieb auf die Nase, wodurch der Weinachtsmann verblüffende Ähnlichkeit mit Rudolph, seinem rotnasigen Rentier, annahm. Im nächsten Augenblick brach hinter dem Vorhang eine wüste Schlägerei los. Die Kinder in der Warteschlange beobachteten mit Entsetzen, wie der stöhnende Weihnachtsmann unter dem Vorhang durchkriechen wollte, jedoch von unsichtbarer Hand zurückgezogen und erneut vermöbelt wurde. Schließlich taumelte ein bartloser junger Mann mit zerfetztem roten Mantel hervor und erklärte, daß der Weihnachtsmann für heute die Schnauze voll hätte. Ein kleines Mädchen, das sich ängstlich hinter der Mutter versteckt hielt, fragte völlig entgeistert: „Warum sagt der Weihnachtsmann, daß er jetzt einen Rechtsanwalt braucht?“ Schon am nächsten Tag wandt sich das Blatt zugunsten der Weihnachtsmänner. Ein Geschäftsmann hatte sich mit seinen vier Kindern angestellt, jedoch nur drei Tickets gekauft — in der Annahme, daß Säuglinge nicht bezahlen müßten.

Der Weihnachtsmann war jedoch anderer Meinung und rückte kein Geschenk für das Baby raus. Das brachte den Vater dermaßen in Rage, daß er Frau und Kinder zum Einkaufen schickte und dann über den weißbärtigen Alten herfiel. Dieser entpuppte sich jedoch als kräftiger junger Mann. Er warf den Geschäftsmann unter den Anfeuerungsrufen der Kinder zu Boden und hielt ihn im Würgegriff, bis die Polizei eintraf. Beide Seiten sahen von einer Anzeige ab. Seine gerechte Strafe bekommt der Attentäter ohnehin noch: „Das Arschloch kriegt doch nie und nimmer ein Geschenk vom Weihnachtsmann“, stellte ein Sechsjähriger voller Schadenfreude fest.