Bonn erleichtert über EG-Kompromiß

■ Botschafteraustausch mit Kroatien und Slowenien Mitte Januar/ Verfassungsrechtler sollen Politik der Republiken prüfen/ Genscher zufrieden mit Entscheidung/ SPD-Politiker Gansel: „Fauler Kompromiß“/ Belgrad: „Das ist ein aggressiver Akt“

Brüssel (taz/dpa/afp) — Fast sechs Monate nach den einseitigen Unabhängigkeitserklärungen von Slowenien und Kroatien hat sich die EG im Prinzip zu einer Anerkennung der beiden Republiken durchgerungen. Entgegen der Empfehlung von UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar und US-Präsident Bush einigten sich die Außenminister der zwölf europäischen Länder in einer dramatischen Nachtsitzung am Dienstag früh in Brüssel auf den Stichtag 15.Januar. Zu diesem Zeitpunkt sollen Botschafter ausgetauscht werden. Alle Republiken, die eine Anerkennung wünschen, müssen das bis zum 23.Dezember in Brüssel kundtun. Anschließend wird die EG- Schiedskommission prüfen, ob diese Republiken die Bedingungen der EG einhalten.

Das Ergebnis ist ein Kompromiß, bei dem kein Mitgliedsland sein Gesicht verliert: Einerseits kann das Bundeskabinett, wie bereits lautstark angekündigt, am Donnerstag die Anerkennungen aussprechen. Andererseits können Großbritannien und die Niederlande noch abwarten, ob die UNO Friedenstruppen entsandt und die Friedenskonferenz in Den Haag wieder aufgenommen wird. Und Griechenlands Außenminister konnte darauf verweisen, daß er die Interessen seines Landes in Mazedonien verteidigt habe.

Als Bedingung für die Anerkennung verlangt die EG die Einhaltung allgemeiner Prinzipien wie den Minderheitenschutz, die Unterstützung der UN-Friedensbemühungen und die Beteiligung an der EG-Jugoslawien-Konferenz (siehe Dokumentation). In ihrer gemeinsamen Erklärung maßen die Minister der „baldigen Entsendung einer UN-Friedenstruppe größte Bedeutung zu“.

Bei den Beratungen in Brüssel hatte besonders die Bundesrepublik, unterstützt von Dänemark und Belgien, auf eine baldige Anerkennung gedrängt. Großbritannien und die Niederlande zeigten sich dagegen zurückhaltend. Bonn war kritisiert worden, weil es im Alleingang zugesagt hatte, Kroatien und Slowenien noch vor Weihnachten anzuerkennen. Dies könne die Friedenskonferenz in Den Haag stören, fürchtete deren Leiter, der britische Politiker Lord Carrington.

Unklar blieb in Brüssel, was passiert, wenn die Verfassungsrechtler zu dem Schluß kommen, daß eine Republik die Bedingungen nicht erfüllt. Genscher betonte, die Bundesregierung sei „nicht verpflichtet“, aufgrund eines negativen Votums der Kommission ihre Meinung zu ändern. Auch wenn einige Staaten dann entscheiden sollten, keine Botschafter zu entsenden, werde Bonn diesen Schritt automatisch vollziehen. Der französische Außenminister Dumas hingegen sagte, diese Frage sei noch nicht entschieden. Es sei „noch keine Einigung zu hundert Prozent“. Der britische Außenminister Hurd sprach davon, daß bei einem negativen Votum Entscheidungen nötig sein könnten.

Sichtlich erleichtert gestand Genscher gestern, das Ergebnis habe die Erwartungen der Bundesregierung übertroffen, die lediglich gehofft habe, eine möglichst große Zahl von EG-Staaten für die Anerkennung gewinnen zu können, sagte er. Unter dem tosenden Beifall teilte Bundeskanzler Kohl gestern dem Dresdner CDU-Bundesparteitag den „großen Erfolg der deutschen und europäischen Politik“ mit.

Als „faulen Kompromiß“ bezeichnete der außenpolitische Sprecher der SPD, Norbert Gansel, gestern das Verhandlungsergebnis. Bonn habe es nicht geschafft, für eine richtige Forderung Unterstützung bei den anderen europäischen Regierungen zu gewinnen, sagte er. Eine Anerkennung von Kroatien und Slowenien erst Mitte Januar sei bitter. „Wenn die Europäische Gemeinschaft an ihrem Fahrplan festhält, erkennt sie möglicherweise nur noch Leichen und Ruinen an“, warnte der Oppositionspolitiker.

Für Verbitterung sorgte die Entscheidung der EG in Belgrad. „Europa hat diese Nacht eine Aggression gegen Jugoslawien unternommen“, beklagte die Rechtsprofessorin Avramov gestern. dora