piwik no script img

Bakers Kondolenzbesuch in Moskau

Gorbatschow trifft Baker erst nach Jelzin, der wiederum nun den definitiven Rücktritt des Präsidenten bis Mitte Januar fordert/ Rußland drängt auf Anerkennung durch die USA und Sitz in der UNO  ■ Von Klaus-Helge Donath

Die Welt hat sich in den letzten zwei oder drei Jahren fundamental verändert, Herr Präsident. Der fundamentale Wandel ist zu keinem geringen Teil Ihr Verdienst“, tröstete US- Staatssekretär James Baker den sowjetischen Präsidenten ohne Portefeuille, Michail Gorbatschow. Versteinert und verzagt schaute dieser zu seinem Gesprächspartner auf und versicherte ihm ein letztes Mal, die Neukonstituierung der zerfallenen Union müsse in einem verfassungskonformen Rahmen vor sich gehen. Ein letzter Versuch, den Amerikanern doch noch eine positive Reaktion auf seine längst überholte Vision einer politischen Union der ehemaligen Republiken zu entlocken. Gorbatschows Blaupause interessiert keinen mehr. Baker ließ sich darauf nicht ein, die obligatorische Pressekonferenz blieb aus. Alles, was stattfand, war ein gemeinsamer Fototermin für die Kremlannalen. Die letzten Tage waren demütigend für Gorbatschow, dessen Saat jetzt in einer Weise aufgeht, wie er es nie wollte. Die Geschichte vollzieht sich hinter seinem Rücken, schon lange ist er nicht mehr ihr Akteur. Doch er will es nicht einsehen und streckt dem innenpolitischen Gegner beide Backen hin. So gab er erst gestern wieder Jelzin die Gelegenheit, spektakulär in einem Interview seinen Rücktritt zu fordern. Bis Mitte Januar, so Jelzin zur italienischen 'Repubblica‘, sollte Gorbatschow sich endgültig zur Ruhe setzen. Gorbatschow habe nach 1987 „zu viele Fehler gemacht“. Denn er habe es versäumt, die radikalen politischen und wirtschaftlichen Reformen herbeizuführen, die erforderlich gewesen wären. Jelzin sagte: „Aber ich möchte nicht schlecht über Gorbatschow reden. Ich wiederhole: Ich respektiere und begrüße, was er getan hat. Und wenn er sich entschließt zurückzutreten, wird Rußland zu seiner Verantwortung stehen und garantieren, daß Gorbatschow eine Pension und eine angemessene Behandlung erhält.“

Noch fungiert Gorbatschow aber als Oberkommandierender der sowjetischen Streitkräfte. Damit hatte Baker immerhin einen Anlaß, um mit dem Präsidenten über Substantielles zu reden. Doch das Interesse der Amerikaner gilt der Post-Gorbatschow-Ära und der Frage: was geschieht mit dem nuklearen Potential der Ex-UdSSR, den etwa 30.000 Atomwaffen. Vergangene Woche hatte der neue Chef der CIA ein alarmierendes Bild der innenpolitischen Lage in den Nachfolgerepubliken gezeichnet. Gegen das Protokoll war Baker schon am Wochenende zuerst mit dem russischen Außenminister Andrej Kosyrew zusammengetroffen, dann verhandelte er mit Rußlands Präsident Boris Jelzin, der seinem ehemaligen Widersacher Gorbatschow deutlich signalisierte, wer bereits heute Herr im Hause ist. Er traf Baker im Katharinensaal des Kreml, der bisher dem sowjetischen Staatsoberhaupt vorbehalten war. Jelzin kam nicht alleine zu diesem Treffen. An seiner Seite führte er den Verteidigungsminister der Altunion, Jewgeni Schaposchnikow, mit sich, der seinem alten Herrn offenkundig auch Lebewohl gesagt hat.

Nach dem vierstündigen Gespräch mit Baker versicherte Jelzin dem Westen, er brauche keine Angst vor der Proliferation der Atomwaffen zu hegen. Die neue „Gemeinschaft Souveräner Staaten“ plane eine gemeinsame militärische Kommandostruktur. Bevor eine Atomwaffe eingesetzt würde, müßten die Führungen Rußlands, der Ukraine, Weißrußlands und Kasachstans konsultiert werden. Die drei slawischen Republiken, in denen die Majorität des Nuklearpotentials lagert, hatten letzte Woche mit der Gründung der „Gemeinschaft Souveräner Staaten“ dem Torso der UdSSR endgültig den Todesstoß versetzt. Jelzin sicherte zu, auch der Export nuklearer Technologie werde einer „strikten Kontrolle“ unterliegen. Einzelheiten sollen in einem Verteidigungsabkommen zwischen den nunmehr souveränen Staaten geklärt werden. Für Gorbatschow als Oberaufseher dieses Prozesses, scheinen Jelzin und Schaposchnikow nicht zu gewinnen zu sein.“ Doch das muß nicht allein den Antipathien Jelzins geschuldet sein. Eher liegt der Grund darin, daß die „neuen“ Staaten eine übergeordnete Funktion, und sei es nur die eines Koordinators, nicht billigen wollen. Zumal es sich dabei um den letzten Vertreter der „Zentralmacht“ handelt, der noch immer von einer andersgearteten Union träumt. Trotz aller Versicherungen der russischen Seite lassen sich Befürchtungen nicht von der Hand weisen, die schlechtbezahlten Atomwissenschaftler werden nun den verlockenden Angeboten anderer Potentaten folgen und ihr Wissen zur Verfügung stellen.

Am Ende seines Moskaubesuches trafen sich noch einmal Baker und der sowjetische Außenminister Schewardnadse. Ihr Zusammenkommen trug schon nostalgischen Charakter, es war ein Abschiedstreffen. Zuvor hatte sich der Georgier noch für einen Erhalt der sowjetischen Außenpolitik während einer Übergangsperiode mit einem Übergangsmechanismus ausgesprochen. Er sah darin auch noch eine Funktion Gorbatschows.

Doch alle Anzeichen sprechen dagegen. Rußland beantragte die Aufnahme in den UNO-Sicherheitsrat. Das russische Parlament erklärte sich offiziell zum „Erben der zentralen Legislative“, indem es das sowjetische Parlament, seine Konten und Immobilien unter seine Verfügung stellte. Parallel dazu reist Baker in die Republiken der „Gemeinschaft“. Auch Gorbatschow macht sich auf denselben Weg, um noch einmal für sich und seine Union zu werben. Er wird ein einsamer Handlungsreisender bleiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen