INTERVIEW
: „Er hat ja keine DDR mehr“

■ Honeckers Anwalt, Wolfgang Ziegler, zum Resozialisierungsziel bei seinem Klienten

taz: Wann haben Sie das letzte Mal mit Honecker gesprochen?

Wolfgang Ziegler: Am Dienstag, den 10. Dezember.

Was hat er gesagt?

Er wollte uns mitteilen, daß die russische Regierung ihm ein Ultimatum gestellt hat, bis Freitag, den 13. das Land zu verlassen.

Was würde für Nordkorea als Alterssitz sprechen?

Zwischen der DDR und Nordkorea bestanden sehr gute Beziehungen. Und es wäre eine Möglickeit, aus dem jetzigen Dilemma herauszukommen. Er will ja unter keinen Umständen nach Deutschland zurück, solange der Haftbefehl besteht.

Und wenn der Haftbefehl aufgehoben würde?

Wenn man die Argumente der Verteidigung akzeptieren und den Haftbefehl aus Rechtsgründen aufheben würde, würde Honecker sicherlich nach Deutschland zurückkehren wollen. Auch wenn viele wünschen, hoffen und erwarten, daß er verurteilt wird, ist es doch eine Errungenschaft des Rechtsstaates, daß man nicht jeden verurteilen kann, den man verurteilen möchte. Es würde aber ganz erhebliche Sicherheitsprobleme aufwerfen, wenn er hier in Freiheit leben würde.

„Lebend kriegen sie mich nicht!“ soll Honecker gesagt haben. Halten Sie solche Äußerungen für authentisch?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe diese Äußerungen nicht gehört.

Haben Sie Kontakt zur Bundesregierung?

Nein. Ich sehe auch keinen Handlungsspielraum.

Gestern hat Kohl wieder mit Jelzin telefoniert. Was glauben Sie? Will man ihn in Bonn wirklich wiederhaben?

Es mag Politiker geben, die das wollen, die auch wirklich den Prozeß wollen. Anderen geht es sicherlich nur um den politischen Erfolg: darum, es zu schaffen, ihn nach Deutschland zurückzubringen. Viele würden einen Prozeß aber auch durchaus fürchten.

Warum sollten sie?

Ein zentraler Punkt bei einer Verhandlung wäre: Wie hat sich die Bundesrepublik verhalten? Wie haben sich die Politiker verhalten, als die DDR noch existierte, als aber all die Dinge, die Honecker heute vorgeworfen werden, schon bekannt waren. Und wenn man heute sagt, das ist alles Unrecht, was er getan hat, dann wußte man das damals im Prinzip ja auch schon. Wenn man sieht, wie er empfangen wurde, wie manche um seine Gunst gebuhlt haben, muß es eine unangenehme Vorstellung sein, daß das im Prozeß zur Sprache kommt.

Wie schätzen Sie die Rechtssituation ein? In der letzten Version des Haftbefehls wird Honecker „Anstiftung“ zu den Todesschüssen an der Mauer angelastet.

Man begründet das damit, daß das Grenzgesetz, das den Schußwaffengebrauch ab 1982 regelt, nicht angewandt werden dürfe, weil es gegen die Menschenrechte verstößt. Dann stützt man sich auf eine angebliche Erklärung von Honecker in einer Sitzung des Verteidigungsrates im Mai 1974. „Es müßte nach wie vor rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden“, ist als Äußerung Honeckers in einem Protokoll der Sitzung niedergelegt. Von diesem Satz leitet man die Anstiftungshandlung her. Das Problem ist, daß nicht gesichert ist, ob Honecker diese Äußerung gemacht hat. Er bestreitet es, und das Protokoll ist nicht autorisiert. In dem von Honecker abgezeichneten offiziellen Beschlußprotokoll ist von Schußwaffengebrauch nichts enthalten.

Das deutsche Strafrecht will keine Rachegelüste befriedigen, sondern steht unter dem Primat der Resozialisierung. Gibt es Chancen einer Resozialisierung bei Honecker?

Bei Honecker kann es, wenn es zu einer Verurteilung käme, nur um Sühne gehen. Resozialisierung kann hier nicht das Ziel eines Strafverfahrens sein. Wenn sie alte Menschen vor Gericht stellen, werden sie sie durch eine Strafe in der Regel nicht verändern können. Außerdem sind die alten Menschen auch nicht gefährlich. Resozialisierung bedeutet letztendlich, daß man Menschen von einem kriminellen Weg wegführt. Das ist ja bei Honecker ausgeschlossen. Er hat ja keine DDR mehr. Interview: Bascha Mika