Woher kommt die 42?

■ Künstler aus dem Tacheles präsentieren sich in der Halle Links in Steglitz

Hier fühl' ich mich irgendwie beobachtet — das weckt unangenehme Erinnerungen bei mir!« Der unverkennbare Zonieslang von Stefen Schilling läßt keinen Zweifel, wem diese Anspielung gilt. Die Halle Links im Bürgerbezirk Steglitz ist dem Künstler aus Erfurt von der Gruppe »Alex Merz« nicht so ganz geheuer. Offensichtlich macht es da wenig Unterschied, daß es diesmal der Klassenfeind ist, der ihm hinter gläsernen Trennwänden ins Antlitz grinst.

Der Ausstellungsraum ist Teil einer überdimensionalen Fabrikhalle aus der Gründerzeit. Umgeben von einer Galerie schicker Werkstätten und Büros hinter Glas, erinnert das Ambiente an eine Einkaufspassage.

Mit einem Refugium aus Stahlmatte und Papier versuchen sich die Erfurter Jungs (Matthias Schneider, Stefen Schilling und Tom Schüller) solch spätkapitalistischer Zudringlichkeit zu entziehen. Vier Wände aus dünnem Stahlgerüst beschreiben ein Haus mit quadratischer Grundfläche — die Zwischenstreben sind zum Teil entfernt und lassen Platz für eine Tür und viele Monotypien, 78 an der Zahl, die, mit Wäscheklammern befestigt, das Häuschen fast vollständig bedecken. Seinen ganzen Charme entfaltet das Werk allerdings erst beim Durchschreiten des Eingangstores. Grund dafür sind die doppelseitigen Monotypien: was auf der Außenseite des Hauses als Ansammlung krakeliger Bleistiftzeichnungen erscheint, wirkt im Inneren durch ein simples Verfahren mit einer eingeschwärzten Platte eindrucksvoll verfremdet: aus Strichen werden prägnante schwarze Linien, zusätzliche Abreibungen der Platte lassen die Linien ausfransen und geben einen konstrastreichen Hintergrund. »Aus dem Terminkalender eines Analphabeten 1-42« nennt sich das fragile Werk, wobei sich die Zahl 42 recht einfach und einleuchtend aus den Buchstaben des Alphabets, abzüglich der Menge der Papierbögen, multipliziert mit der Summe der Stahlstreben, errechnen läßt. Der Blick in die Kalenderblätter läßt fragen, warum sich unsereins mühsam die Kunst des Lesens und Schreibens aneignet, wenn es sich als Analphabet derart angenehm lebt: ist er nicht gerade per Anhalter in der Galaxis unterwegs, dem Unbekannten auf der Spur, versüßen ihm Termine mit leichtgeschürzten Damen den Rest der Ewigkeit.

Die Offene Werkstatt ist dritte und letzte Station einer Ausstellungsreihe, die die Künstler des Tacheles erstmals in der Kälte des freien Marktes präsentiert. Weg vom vielbesungenen Klischee der sympathischen Zauberlehrlinge, heraus aus der Themrocschen Romantik der Gewölbe in der Oranienburger Straße. Und vor allem wohl auch weg von einem Heimvorteil, der jede Kunstkritik zu einer Ode an das »Gesamtkunstwerk Tacheles« geraten läßt und den Werken seiner Bewohner bestenfalls einen Nebensatz gönnt.

Joachim Mächler, Initiator und Orgnaisator der Ausstellungsserie, wirkt wie ein strapazierter Klassenlehrer, der seinen Zöglingen die Regeln der Kunstvermarktung zu verklickern sucht. Aus dem »kreativen Chaos« der um Jahre jüngeren Künstler, betont er tapfer, dazugelernt zu haben. Das Zustandekommen dieses Artikels beispielsweise ist nur dem Umstand zu verdanken, daß die Autorin quasi um die Ecke wohnt. Angesichts einer tagelang mehr oder weniger leerstehenden Halle, die dem Namen Offene Werkstatt nicht gerecht wird, verliert so mancher Interessent die Geduld. Der Nachwuchs gefällt sich in der Abwehrhaltung. Auch Stephan Jung fühlt sich in dieser Umgebung »nicht sonderlich motiviert«. Der Meister der Negation aus dem Schwabenland formulierte einst provokativ »Kein Tacheles« und rückte damit selbstverständlich gewordene Alltagserfahrungen erneut ins Bewußtsein. Die Halle Links durchstreicht er mit einer Neoninstallation, ein wilder Blitz zuckt von der hohen Decke zwischen die Fernseher. Dem »Klassenlehrer« trotzig die Stirn bietend, tauft er die Offene Werkstatt in »Keine Namen« um und läßt auch die von ihm entworfenen Plakate und Eintrittskarten entsprechend bedrucken.

Neben einer Videoinstallation von Till Vanish bietet die Ausstellung fotokopierte Psychogramme von Marja-Leena Räihälä nebst einem etwas deplaziert wirkenden Beichtstuhl. Das sind sie also, die jungen Meister von morgen, und keine touristenträchtige Ruine gibt ihren Werken den beschönigenden Rahmen. Der Underground testet seine Salonfähigkeit.

Ordnung muß sein, Erstling in der Ausstellungsserie, bewältigte dieses Experiment mit einer abwechslungsreichen Präsentation, die auch die ungewohnte Umgebung einzubeziehen verstand. Pure Vida kommt etwas schwächer daher, und die Variante ohne Namen erstickt als Schlußlicht schließlich in der »lichten Weite aus Stahl und Glas« (O-Ton Pressetext). Das heißt nicht, daß hier Werke minderer Qualität geboten werden, aber die Installationen vermögen die Halle nicht zu füllen. Die junge Kunst bleibt im hilflosen Aufbegehren vor den Schaufenstern der Glasgalerie stecken. Das Kontrastprogramm Tacheles — Halle Links hat in diesem Fall keinen stimmigen Ausdruck gefunden. Zwei Gebäudekomplexe, die in etwa das gleiche Baujahr haben, machen in ihrer Unterschiedlichkeit — hier perfekt renovierter Gewerbehof aus der Gründerzeit, dort knapp der Abrißbirne entronnene Ruine — das Spannungsfeld deutsch-deutscher Geschichte deutlich. Eine Chance, mit der zu arbeiten sich gerade für die Werkstatt angeboten hätte. Jantje Hannover

Noch bis 22. 12., täglich von 15 bis 19 Uhr. Ort: Halle Links, Holsteinische Straße 39/42, Steglitz, U- Bahn Walter-Schreiber-Platz