: Wissenschaftsrat: DDR-Forschung trotzdem erhaltenswert
■ Die MitarbeiterInnen der Akademie der Wissenschaften der DDR stehen ab Januar auf der Straße/ Es gibt viele Programme, aber keine Verträge
Mitte. Ende November waren von den ehemals 24.000 MitarbeiterInnen in den 73 Instituten der Akademie der Wissenschaften der DDR noch genau 15.836 beschäftigt, davon über 7.500 in Berlin. Auch deren Arbeitsverträge laufen laut Einigungsvertrag am 31. Dezember dieses Jahres aus, sie müssen noch nicht einmal gekündigt werden. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheidet heute darüber, ob mittels einer einstweiligen Anordnung die Arbeitsverhältnisse zunächst fortgeführt werden müssen.
Die wenigsten von ihnen wissen, wie es mit ihnen nach den nächsten zwei Wochen weitergehen soll. »Es gibt mündliche Zusagen, daß hier ein neues Zentrum für Literaturwissenschaften in der Trägerschaft des Max-Planck-Instituts entstehen soll, aber Genaues weiß da niemand«, sagt eine Mitarbeiterin am Institut für Literaturgeschichte. Sie selbst habe eine mündliche Zusage erhalten für das neue Zentrum, »aber viele Kollegen sind im Zustand einer Ungewißheit, die unerträglich ist«.
Der Wissenschaftsrat hatte die Einrichtungen bis Mitte des Jahres hinsichtlich ihres Forschungsprofils und ihrer Leistungsfähigkeit evaluiert und Empfehlungen betreffs ihrer Auflösung, Fortführung oder Umwandlung gegeben. Bei drei Viertel der Einrichtungen war er zu positiven Ergebnissen gekommen. An der Akademie hätten hochqualifizierte Wissenschaftler gearbeitet, das Grundübel bestehe vielmehr in der grundsätzlichen Trennung von Forschung und Lehre, sagt Helmut Lück, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung. Das Vorurteil, die Forschung sei SED-hörig gewesen, habe sich nicht bestätigt. »Dort arbeiteten gerade Leute, die man nicht auf die Studenten loslassen wollte, da sie zur Kaderbildung nicht geeignet schienen. Die haben in der Akademie ihre wissenschaftliche Nische gefunden.«
Die Akademie habe immer zwei Gesichter gehabt, sagt Horst Klinkmann, Präsident der Gelehrtensozietät der Akademie. Es habe schon Einfluß und Vorgaben der SED gegeben, aber das Potential der Akademie sei immer ein kritischeres gewesen als das an den Universitäten. Man brauche ja nur auf die neuen Politiker zu verweisen, die aus ihren Reihen stammten, wie Angela Merkel, Walther Romberg oder Jens Reich. »Es bedeutete schon Zivilcourage, die sogenannten »nicht produktiven« Wissenschaften wie Ägyptologie, Kirchengeschichte oder Byzantinistik an den Instituten zu betreiben.« Verschiedene Langzeitvorhaben wie die Kant-Ausgabe oder die Grimmschen Wörterbücher seien vom Wissenschaftsrat ausdrücklich zur Weiterführung empfohlen worden.
»Wir haben es als unsere Aufgabe verstanden, dieses Potential zu sichern, damit es unter anderen Bedingungen unbeschadet weiterarbeiten kann«, sagt Jens Krüger, Assistent der Geschäftsführung der Koordinierungs- und Abwicklungsstelle für die Institute der ehemaligen Akadmie der Wissenschaften in der DDR. Um Personal abzubauen, ohne viel zu kündigen, habe man Fortbildungen und Umschulungen gefördert, Übergangshilfen für freiwillig Kündigende gezahlt und Privatisierungen unterstützt. »An der Akademie wurde viel anwendungsbezogen geforscht, Industrieforschung zu Beispiel. Die Leute waren oft hervorragende Wissenschaftler, nur wird in unserem System diese Forschung nicht vom Staat getragen, sondern von den Unternehmen selbst.« Wenn sich kleinere Einheiten aus den Instituten lösen und selbständig machen wollten, erhielten sie neben einer Anschubfinanzierung eine kontinuierliche Unternehmensberatung.
Ab Januar gibt es verschiedene Modelle, mittels derer man möglichst viele der Beschäftigten unterzubringen hofft. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates sehen vor, die positiv evaluierten Institute in neuer Trägerschaft und mit leicht veränderten Schwerpunkten fortzuführen. Sie werden beispielsweise der Fraunhofer- oder Max-Planck- Gesellschaft oder an bestehende Forschungseinrichtungen angegliedert. Bis auf die Führungspositionen soll hier intern ausgeschrieben werden, so daß etwa 7.000 MitarbeiterInnen ihre Forschungen fortsetzen können. Für 2.000 stehen Plätze im sogenannten Wissenschafts-Integrationsprogramm (WIP) zur Verfügung, welches die ForscherInnen wieder in die Universitäten integrieren soll. »Leider haben sich aber die alten Länder der Finanzierung versagt, so daß die Laufzeit von fünf auf zwei Jahre verkürzt werden mußte,« so Krüger. Etwa 2.000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sollen auf den Weg gebracht werden, deren Bearbeitung in den überlasteten Arbeitsämtern meist noch auf sich warten läßt. Sie sind außerdem auf ein Jahr befristet und »das ist für wissenschaftliche Projekte eigentlich ein Witz.« Mit all diesen Maßnahmen werden allerdings im besten Fall etwa 11.000 Menschen untergebracht.
Der Rechtsanwalt Frank Lansnicker, der die Institute beim Bundesverfassungsgericht vertritt, hält diese Zahlenspiele überhaupt für Augenwischerei. »Entgegen allen Zusagen liegen bisher allenfalls mündliche Absichtserklärungen vor, was die Weiterbeschäftigung angeht.« Von den unbearbeiteten ABM-Anträgen abgesehen, habe sich noch keine Hochschule bereit erklärt, die KandidatInnen des WIP aufzunehmen, ein solcher Eingriff in die Hochschulautonomie sei auch gar nicht möglich. Man könne auch nicht die positiv evaluierten Institute weiterführen, die MitarbeiterInnen aber zunächst entlassen. Alle Angebote, die zur Disposition stehen, seien zudem befristet. Auf soziale Härten sei keinerlei Rücksicht genommen worden, was das Verfassungsgericht bereits bei dem sogenannten Warteschleifen-Urteil moniert hatte.
Deutschland habe mit dieser Art der Abwicklung eine einmalige Chance vertan, eine neue Qualität von Wissenschaft und Forschung zu erreichen, meint Klinkmann. Schon die Fairneß gebiete, nicht nur einen Teil der bestehenden Wissenschaftslandschaft zu evaluieren. Eine personelle Rekonstruktion sei sicher notwendig gewesen, aber »im anderen Teil gibt es schließlich auch Wüste«. Doch die leistungsschwächeren Institute im Westen bleiben seiner Ansicht unangefochten, während die Konkurrenz aus dem Osten kleingehalten wird. Corinna Raupach
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