Marihuana: ein ganz normales Hollandgemüse

Den Haag (taz) — Wissenschaftler und Polizei im Tomatenland Holland machen sich für die Gleichstellung von Cannabis mit ganz normalem Gemüse stark. Behördliche Qualitätssiegel für Marihuana sollen für mehr Konsumentensicherheit sorgen.

Wenn ab 1.Januar '93 holländische Tomaten, Champignons, Gurken und Porree erstmals zollfrei die Grenze passieren werden, bleibt ein potentieller Exportschlager des Gemüse-Landes Nr.1 mit Sicherheit vorerst auf dem Index des europäischen Binnenmarkts: Hanf. Und das, obwohl im Lande selbst das „Holland-Grass“ mit einem Produktionsvolumen von geschätzten 25.-40.000 Kilogramm pro Jahr und einem 180-Millionen-Gulden- Umsatz unter den Gartenbau-Produkten mittlerweile an sechster Stelle rangiert. Es sind im „Drogenparadies“ Holland längst nicht mehr nur die klandestinen Produzenten und die Betreiber der legalen „coffee shops“, die sich für eine Anerkennung von Marihuana als regulärem Konsumgut stark machen; sogar Wissenschaftler und Polizeivertreter wollen die in den Niederlanden tolerierte Droge nicht nur aus der Illegalität holen, sondern die Pflanze mit ihrer charakteristischen Blätterkrone als ganz normales Gartengewächs respektiert wissen — mit entsprechend hohen Qualitätsanforderungen und -kontrollen, um die Verbraucher gegen minderwertige Ware zu schützen.

Das Niederländische Institut für Alkohol und Drogen (NIAD) in Utrecht hat in der vergangenen Woche beim Haager Gesundheitsministerium ein zweijähriges Versuchsprojekt beantragt, das mit einem Etat von einer Million Gulden die Richtlinien für Produktqualität und Kontrolle dieser Ware erarbeiten soll. Nach den Worten von NIAD-Mitarbeiter Fromberg hat der zuständige Minister „im Prinzip positiv reagiert“. Für Fromberg gibt es keine Veranlassung, diesem Projekt zögerlich zu begegnen. Schließlich ist der Gebrauch von Haschisch in den Niederlanden in den letzten 15 Jahren stabil geblieben. „Wir haben es geschafft, den Gebrauch von weichen Drogen in unsere Gesellschaft zu integrieren, ohne daß das zu größeren Katastrophen geführt hat.“ Zehn Prozent der niederländischen Bevölkerung haben schon mal Marihuana konsumiert oder tun das regelmäßig — im Vergleich mit den USA (60Prozent), Großbritannien (35) oder Deutschland (25) übrigens eine relativ niedrige Quote.

Einer der alten Vorkämpfer für die Legalisierung von „soft drugs“ — deren Konsum beim toleranten Nachbarn ohnehin nicht strafrechtlich geahndet wird, obwohl sie nach wie vor unter das Opiatengesetz fallen — Ben Donkers, pflichtet ihm bei: „Es geht zuallererst darum, den Verbraucher zu schützen: Wir wollen prüfen, ob etwas beigemischt oder gar Pestizide verwandt wurden.“

Donkers ist seit vielen Jahren mit dem Handel von Samen, Düngemitteln und dem Endprodukt befaßt. Wie Fromberg betrachtet er Cannabis allerdings als Luxusware, und ähnlich wie Alkohol sollte der Stoff, aus dem die Träume wachsen, denn auch besteuert werden. Seiner Meinung nach kommt der Hanfanbau im übrigen der Umwelt zugute: Für die Produktion von Zeitungen und Büchern etwa bräuchte man nicht mehr massenhaft Wälder kahlzuschlagen, denn die Hanf-Faser sei eine prima Papier-Alternative.

Auch Teile der Polizei drängen inzwischen darauf, daß die Regierung den Anbau nicht länger bekämpfen, sondern fördern möge — schon wegen der Wirtschaft und der Arbeitsplätze. Für den Tilburger Kriminaloberinspektor Bremmers ist die Politik in der Kannabis-Frage noch zu inkonsistent. Immer wieder kommt es zu Razzien gegen Züchter, die mit hochentwickelten, aufwendigen und kostspieligen Methoden in ihren Gewächshäusern Marihuana anbauen. Maßgeblich sind im übrigen nicht die Großbauern; es sind die kleinen, die den heimischen Markt beliefern. Sie kleckern für den eigenen Gebrauch oder verkaufen ihren Überschuß an Freunde oder an die „coffee shops“. Aber auch sie haben ihre Methoden verfeinert und erzielen meist überdurchschnittliche Qualität und Erträge.

Allein in der Provinz Noord-Brabant dürften auf zahllosen Dachböden ansehnliche Sträucher der holländischen Mischung wuchern, von denen die beliebtesten Rassen „Skunk“ und „Northern Light“ am besten unter den wärmespendenden Wachstumsleuchten von Philips gedeihen. Ein doppelter Erfolg also für die heimische Wirtschaft, könnte man meinen. Doch die eher konservativen Glühbirnenbauer aus Eindhoven fühlen sich bisher durch die eigenwillige Verwendung ihrer Produkte in dieser Sparte nicht sonderlich geschmeichelt... Henk Raijer