Diese Entdeckung

■ Knud Wollenberger, Mann der Bundestagsabgeordneten Vera Wollenberger (Bündnis 90), war Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi

Vera Wollenberger, zu DDR-Zeiten in der unabhängigen Friedensbewegung aktiv, im Februar 1988 nach Großbritannien abgeschoben, 1989 in die DDR zurückgekehrt, vom März bis Oktober 1990 Mitglied der Fraktion des Bündnis 90 in der Volkskammer und heute Mitglied des Bundestages, mußte letzte Woche feststellen, daß ihr Mann, ebenfalls in der Friedensbewegung aktiv, Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi war. Wir dokumentieren eine Stellungnahme von Vera Wollenberger, die gestern in 'die andere‘, Wochenzeitung der Bürgerbewegung, veröffentlicht wurde.

Was ich in den letzten Tagen durchmachen mußte, wünsche ich keinem Menschen, nicht mal meinem ärgsten Feind.

Es hatte vor Wochen schon Gerüchte gegeben, mein Mann Knud wäre IM der Stasi gewesen. Als ich versuchte, dieser Sache auf den Grund zu gehen, überzeugte mich Wolfgang Rüddenklau (Mitbegründer der Umweltbibliothek, die davor ein Kommunikationszentrum der oppositionellen Szene war, A.d.R.), der das Gerücht verbreitet hatte, in einem stundenlangen Gespräch davon, daß es keinen rationalen Kern hätte. Er entschuldigte sich bei mir [...].

Solchermaßen beruhigt, hielt ich die Sache für erledigt [...].

So traf es mich einigermaßen unvorbereitet, als Klaus Wolfram (Herausgeber von 'die andere‘, A.d.R.) letzten Montag bei Knud anrief und ihm mitteilte, die Redaktion 'der anderen‘ verfüge über Unterlagen, die Knud als IM auswiesen. Die Sache würde am Mittwoch veröffentlicht und ob Knud eine Stellungnahme abgeben wolle.

Nachdem Knud mir von dem Anruf berichtet hatte, befragte ich ihn eindringlich, ob an den Behauptungen etwas Wahres sein könne. Er bestritt es, er schwor bei unseren Kindern. Am anderen Morgen fuhr ich nach Berlin in die Redaktion.

Ich wollte die Unterlagen sehen und wollte eines wissen: Warum hatte niemand von denen, die etwas wußten und die ich seit Jahren zum Teil gut kenne, mir etwas von diesem furchtbaren Verdacht gesagt? Warum hatte niemand, wenn es denn zutreffen sollte, daß mein eigener Mann für die Stasi gespitzelt hatte, mir wenigstens die Gelegenheit gegeben, meinen Mann zum Reden zu bringen und wenigstens das Unglück für die Kinder einigermaßen abzufangen?

Auf diese Frage bekam ich keine Antwort. Trotz mehrfachen Bittens wurde mir lediglich die Zeitungsseite gezeigt, die am anderen Tag erscheinen sollte. „Wir müssen unsere Quellen schützen“, wurde mir von Tina Krone beschieden. Ich müsse mich schon selbst in die Gauck-Behörde bemühen.

Daraufhin ging ich zu Joachim Gauck, um den Antrag auf Überprüfung abzugeben und benachrichtigte meine Fraktion von dem, was bevorstand. Dann wartete ich auf meinen Sohn Philipp. Nach allem, was er mit seinen 19 Jahren schon durchmachen mußte, sollte er wenigstens nicht aus der Zeitung erfahren, daß sein Stiefvater verdächtigt wird, ein Spitzel gewesen zu sein.

Die Wartestunden waren ein Wechselspiel zwischen der Folter Hoffnung und der Folter Furcht, es könnte wahr sein. Ich analysierte die Zeitungsseite. Das Jahr 1984, in dem IM Donald, der mein Mann sein sollte, seine Tätigkeit aufnahm, war das Jahr der Geburt meines dritten Kindes, Knud war von da an mehr Hausvater und Kinderhüter als Friedensaktivist gewesen.

Natürlich war er bei allem dabei, was sich in unserer Wohnung abspielte, aber an allen größeren Aktivitäten war er wenig beteiligt, weil er sich um die Kinder kümmern mußte.

Dann der Deckname „Donald“. Das sagte mir nichts, der Name hatte für mich keinerlei Bezug zu Knud. Also vorsichtige Erleichterung. Hatten bisher nicht alle Decknamen versteckte Hinweise auf die betreffenden Personen gegeben? Nein, nicht alle. Und Knuds Schwur, er hätte mit allem nichts zu tun? Aber bisher hatte jeder IM geleugnet. Ich zählte mir die wenigen Fälle her, in denen sich die Beschuldigungen als falsch erwiesen hatten: Ingrid Köppe, Ralf Hirsch, Wolfgang Erler. Am unwahrscheinlichsten fand ich, daß Knud so ein wichtiger IM gewesen sein sollte, daß er auf einem Löschauftrag gemeinsam mit de Maizière stand...

Glücklicherweise hatte die Nachricht von der bevorstehenden Veröffentlichung auch einige Freunde und Bekannte erreicht. Sie kamen zu mir, um mir bei diesem Schicksalsschlag beizustehen. Einer von ihnen erreichte am nächsten Tag, daß ich endlich die Informationen bekam, auf denen die Veröffentlichung beruhte. Ich wußte sofort, daß die Verdächtigung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wahrheit sein konnte.

Ich möchte den Zustand nicht beschreiben, in den mich diese Entdeckung stürzte. Lieber hätte ich jahrelangen Stasiknast auf mich genommen, als das erleben zu müssen. Glücklicherweise war ich nicht allein. Es standen mir nicht nur Freunde bei, sondern ich habe in dieser Notsituation auch Freunde gewonnen. Mit ihrer Hilfe schaffte ich es, den letzten schrecklichen Schritt zu tun, wie immer das Ergebnis sein würde: Knud zum Reden zu bringen.

Auf dem Weg zu Knud wieder die Hoffnung, alles könnte, ja müßte sich als furchtbarer Irrtum erweisen. Als ich Knud gegenüberstand, wußte ich, daß ich diese Hoffnung nicht mehr haben konnte. Ich brauchte keine Viertelstunde, um ihn zum Geständnis zu bringen. Danach konnte ich ihm noch ziemlich ruhig ein paar Fragen stellen, so groß war der Schock. Erst dann reagierte mein Körper: Etwas nahm mir die Luft, etwas in mir schrie: „Nein!“ An die nächsten Minuten habe ich eine unklare Erinnerung. Ich gelangte irgendwie aus dem Zimmer. Achim und Christine, die mich begleitet hatten, kamen mir entgegen. [...] Was soll ich meinen Kindern sagen, die im Augenblick selbstgebastelte Weihnachtsgeschenke in allen Winkeln verstecken? Ich weiß nicht mehr, wer ihr Vater ist. Was soll der Sinn meines Leidens, was die Botschaft sein? Welche Wahrheit, welche Gerechtigkeit soll das sein, an der Unschuldige zerbrechen?

Ich bin für Aufarbeitung der Vergangenheit. Ich bin dafür, daß wir alle uns darüber klarwerden müssen, was das für eine Gesellschaft war, in der wir gelebt haben. Aber ich habe erfahren, daß Aufarbeitung so nicht funktionieren kann.

Ich weiß nichts von Donald, aber Knud war ein hinreißender Vater, der seine Kinder über alles liebte. Donald hat geschwiegen, weil er sicher war, daß alle Hinweise auf ihn getilgt worden sind. Knud schwieg, weil er seine Kinder nicht verlieren wollte.

Bärbel Bohley hat in einem Brief neben dem veröffentlichten Löschauftrag Hans Modrow aufgefordert, sein Herrschaftswissen preiszugeben (der Löschauftrag und der Brief Bohleys an Modrow sind in 'die andere‘ vom 11.12.91 veröffentlicht, A.d.R.). Gleichzeitig wurde mir gegenüber die Verwaltung und Anwendung von Herrschaftswissen praktiziert. Mir wird nachgesagt, ich sei eine starke Frau — aber ich wäre an diesen Praktiken beinahe zerbrochen.

Ich hätte Gelegenheit haben müssen, mit Knud zu sprechen und ihn zum Geständnis zu bewegen. Das hätte mir nicht den Schock der Entdeckung erspart, aber diese schreckliche Agonie der letzten Tage. Der Fall Donald ist vor allem meine persönliche Tragödie. Knud gehörte weder zum Kern der Berliner Friedensbewegung noch hatte er in und nach der Wende irgendeine noch so kleine politische Funktion angestrebt.

Die Art, wie sein Fall trotzdem öffentlich exponiert wurde, ohne mir Gelegenheit zu geben, zur Wahrheitsfindung beizutragen, hat vor allem mir und meinen Kindern zusätzliches sinnloses Leiden zugefügt. Wenn die Aufarbeitung der Geschichte auf diese Weise zur Vernichtung der Existenz von Unschuldigen führt, ist sie nur grausam und wird mit Sicherheit nicht zu dem führen, was eigentlich unser aller Ziel sein sollte: die Zerschlagung lebensfeindlicher Strukturen und dann das Aufbauen einer freundlichen Welt, in der wir ohne Furcht leben können. Vera Wollenberger