VWs Entlastungsforschung

2,6 Mio DM stellte der Konzern bereit. Historiker Hans Mommsen löste die Frage der Entschädigung von Nazi-ZwangsarbeiterInnen zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber.  ■ VON DETLEF SCHLOCKERMANN

Wes' Brot ich ess', des' Lied ich sing'! (Sprichwort)

1986 erhielt der Bochumer Historiker Hans Mommsen von dem Wolfsburger VW-Konzern den Auftrag zur Erforschung der Geschichte des Volkswagen-Werks. Gefordert war die „lückenlose Analyse“ der Verwicklung des Konzerns in der sogenannten „Zwangsarbeiterfrage“. Erst in diesem Herbst stellte er der Öffentlichkeit im Wolfsburger Konzernsitz, gleichzeitig auch historischer Ort des ersten betriebseigenen Konzentrationslagers, die Ergebnisse seiner Studien vor. Insgesamt 2,6 Millionen DM investierte VW in ein Projekt, das die Antwort geben sollte auf die Frage der längst fälligen finanziellen Entschädigung ehemaliger VW-ZwangsarbeiterInnen. Hans Mommsen hat sich dazu seine Gedanken gemacht. Seine überraschende Antwort: eine individuelle finanzielle Hilfe für die ehemaligen Opfer führe zu einer Art Wettbewerbsverzerrung für VW. Übrig blieben, so vielleicht die Befürchtung manches Vorstandsmitglieds, nichts als Schulden. Also keine finanzielle Hilfe für diejenigen, deren wirkliche Leiden nur mittelbar in den Bilanzen des ehemaligen Nazikonzerns meßbar wären.

Als Hans Mommsen, ausgewiesener Fachmann des Nationalsozialismus, in Wolfsburg die Ergebnisse seiner Forschung zur Geschichte des Volkswagen-Konzerns vorstellte, schlug für einen kurzen Moment die Kritik über ihm zusammen. Während die ganze Welt angesichts Hoyerswerdas und fortschreitenden Fremdenhasses wieder über die „multikulturelle Gesellschaft“ sinnt, glaubt Mommsen sie in seiner Studie in der vielsprachigen Zwangsarbeiterbelegschaft VWs erkannt zu haben. Selbst die 'FR‘ ('Frankfurter Rundschau‘), während des Historikerstreits Mommsens Hofberichterstatterin, titelte in ihrer Ausgabe vom 10.Oktober: „Bei Zwangsarbeit multikulturelle Gesellschaft an der Werkbank“. Der Historiker zeigt sich darüber empört. „Nur weil die Linken in dem Wort ,multikulturell‘ auf einmal irgendeinen Wert sehen“, sei es nicht seine Aufgabe, sich um die Dummheit seines Publikums zu scheren. Abgesehen von Mommsens sprachlichen Ausrutschern war sich die Kritik einig: Hans Mommsen hat seinen bisher guten Namen als Historiker für Volkswagen verpfändet. Otto Köhler wird in der 'Zeit‘ in seinem Artikel „Ein Stein. Kein Geld“ (Nr.44, 25.Oktober 1991) deutlicher, wenn er schreibt, daß von einem Mißbrauch Mommsens durch das Volkswagen-Werk keine Rede sein könne. Der unmißverständliche Vorwurf: Hans Mommsen hat sich für die bisher geflossenen 2,6 Millionen DM an VW verkauft und die Frage der Entschädigung von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen zur Zufriedenheit von Volkswagen gelöst. Während seines Symposiums lehnte Mommsen dann auch tatsächlich die individuelle Hilfe für die ehemaligen ArbeitssklavInnen des Nationalsozialismus ab: „Wir kommen nicht an die Leute heran“, so Mommsen mit Hinweis auf seine ganz persönliche Meinung. Ehemalige ZwangsarbeiterInnen seien schlicht nicht ausfindig zu machen, und der enorme verwaltungstechnische Aufwand würde den größten Teil der zu erwartenden Entschädigungssumme verschlingen. „Übrigens mache ich die Wette“, prophezeite Mommsen selbstbewußt, „daß von 500 polnischen Millionen nur 200.000 DM ankommen.“ In der Reihe vieler belasteter Unternehmen befürchtete Mommsen den Präzedenzfall, die Flut von Rechtsansprüchen ehemaliger Opfer. „VW kann doch nicht — auch wenn sie noch so gesinnungsethische Leute an der Spitze haben — aus der Rechtsfront ausscheren“, so der Historiker verständnisvoll zur Position Volkswagens.

Diese komplizierten Linken

Zweifellos auch als Ergebnis des von Mommsen verantworteten Forschungsprojekts werden nun statt dessen zwölf Millionen DM für überindividuelle Entschädigung gezahlt. Völkerverständigung und Jugendaustauschmaßnahmen sollen durch Gelder der VW-Stiftung finanziert werden, der Mommsen beisitzt. Deshalb fühlt er sich allein mit seiner Position und mißverstanden durch die öffentliche Kritik. „Ich weise darauf hin,“ so Mommsen empört, „daß ich immerhin das Verdienst habe, erreicht zu haben, daß Volkswagen zwölf Millionen für überindividuelle Entschädigung gestiftet hat.“ Mommsen zeigt dabei dennoch großes Verständnis für seine Auftraggeber: „Einerseits durchsetzen, daß das Werk Geld zahlt für überindividuelle Entschädigung und gleichzeitig sich hinstellen und sagen, VW soll auch noch individuelle machen“ — das scheint Mommsen unmöglich. Nur „die Linken wollen es immer so kompliziert, daß nachher überhaupt nichts geschieht“, wie er der Ablehnung Volkswagens vorauseilend sagt.

„Wir sind an der Uni finanziell recht knapp ausgestattet. Und das einzige, was ich jetzt an der Universität merke, ist, daß ich überhaupt nichts davon bemerken kann, daß ich der Uni auf diesem Wege 63.000 DM laufende Mittel, nämlich die 2,5 vom Hundert Verwaltungskosten beschafft habe“, so Mommsen mit enttäuschtem Unterton zu seinen UniversitätskollegInnen. Im Gegensatz zu ihm ist die Entschädigungsfrage für andere kein rein technokratisches Problem. Dennoch ist für den Historiker die Sachlage eindeutig: „Es hat doch keinen Sinn, über einen Rechtsanspruch zu reden, den es gar nicht gibt“, so Mommsen. Er sieht sich als Opfer einer Intrige, und das Ganze sei lediglich „ein Angriff einer ganz engen Gruppe“. „Das ist die Wolfsburger Mafia“, weiß er die Kritik zu erklären. Diese Gruppe um den Superintendenten Hinrich Buß, den Pastor Hartwig Hohnsbein sowie die lokale Geschichtswerkstatt, die für eine individuelle Hilfe der noch lebenden Opfer eintreten, ist für Mommsen eine „festgefügte Formation von vorgefaßten Auffassungen“. Ihnen ginge es nicht um die Menschen, denen zu helfen ist. „Es geht ihnen darum“, so Mommsen, „das Werk zu strafen.“

Ein fabelhaftes Zeilenhonorar

In Spitzenzeiten, das geht aus der Studie Mommsens hervor, waren in der Rüstungsproduktion bei VW nahezu 16.000 ZwangsarbeiterInnen beschäftigt. Die größte Gruppe setzte sich aus russischen Kriegsgefangenen zusammen, die zweite bestand aus KZ-Häftlingen, die, der nationalsozialistischen Ideologie folgend, erst durch Zwangsarbeit geschunden werden sollten, um dann im Gas zu enden. Wenn wir nun davon ausgehen, daß diese 16.000 ZwangarbeiterInnen soweit ausreichend gut versorgt wurden, daß sie bis zum Ende des Krieges überleben konnten — was der Realität kaum auch nur nahekommt —, entspräche die von Volkswagen nach zähem Ringen in Aussicht gestellte Summe von zwölf Millionen DM etwa 750 DM „Entschädigung“ für jede/n der ZwangsarbeiterInnen. Eine solche Rechnung widerspricht natürlich der Sicht Hans Mommsens, da er richtig sagt, daß Schuld nicht materialisierbar ist. Trotzdem ist dies die Relation zu dem Gewinn, den VW durch Zwangsarbeit gemacht hat. Während der VW-Konzern sehr wohl bereit war, 2,6 Millionen DM für ein Forschungsprojekt zur eigenen Konzerngeschichte bereitzustellen, war dem gleichen Vorstand erst nach langem zähen Ringen überhaupt eine Zusage für eine finanzielle Entschädigung abzunötigen. Um die Relation deutlich zu machen: die bisher nach nahezu fünf Jahren veröffentlichte, lediglich 77 Seiten starke Broschüre entspricht einem Entgelt von rund 35.000 DM pro Seite. Bei 37 Zeilen pro Seite dieser Broschüre entspricht dies einem Fabel-Zeilenhonorar von umgerechnet 950 DM. Von diesem Geld könnte vermutlich eine Zwangsarbeiterfamilie einen guten Monat leben. Im Gegensatz zu den „jewish claims“ und den ebenfalls bereits entschädigten VW-SparerInnen, denen Hitler wahrhaft verachtungswürdig ihren Volkswagen „vorenthielt“, haben jene Menschen allerdings keinerlei Lobby. Wenn nun VW auf Vorschlag Mommsens ein Kinderheim oder Krankenhaus in den betroffenen Regionen Weißruteniens oder der Ukraine finanziert, bleibt der Fakt bestehen, daß VW ohne diese SklavenarbeiterInnen des Nationalsozialismus nicht existieren würde. Seit nunmehr 46 Jahren hat es VW vorgezogen, abzuwarten. Je länger gewartet wird, so scheinbar die kühl-berechnende Strategie, desto mehr der inzwischen alt gewordenen Menschen werden sich durch Tod den Entschädigungsbilanzen honoriger deutscher Firmen wie VW „entziehen“. Bleibt zu hoffen, daß vielleicht das eine oder andere Opfer noch lange genug lebt, um seinen Tod in einem von der VW-Stiftung finanzierten Krankenhaus in Weiß- Rutenien zu erwarten. Ob es erfreut darüber sein wird, bleibt zweifelhaft.