piwik no script img

Nahost-Gespräche in der Sackgasse

Streit um Verfahren verhindert Verhandlungen über Sachthemen/ Israel signalisiert Einlenken in der Frage des Ortes/ „Jüdische Intifada“ in den besetzten Gebieten/ Siedleraktionen eskalieren  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Die erste Runde der bilateralen Nahost-Gespräche in Washington wird sich zum Jahresende vertagen, ohne daß ein Durchbruch in den Verfahrensfragen erreicht werden konnte. Über die zahlreichen Kompromißangebote beider Seiten ließ sich bis gestern keine Einigung erzielen. Die israelische Delegation wollte noch gestern abend nach Hause zurückkehren, signalisierte jedoch zugleich, daß die Sondierungen heute fortgesetzt werden könnten, wenn ein Fortschritt absehbar sei. Der Sprecher von Ministerpräsident Jizchak Schamir, Ehud Gol, meinte, Israel erwarte, daß auf jeden Fall weiterverhandelt werde, lediglich über den Ort bestehe noch keine Einigkeit. In Abkehr von der bisherigen israelischen Haltung scheint die Regierung in Jerusalem jetzt auch bereit zu sein, die dritte Gesprächsrunde erneut in Washington stattfinden zu lassen. „Wir brauchen viel Geduld“, meinte der israelische Delegationschef Yosef Ben-Aharaon.

Angesichts der zunächst noch festgefahrenen Situation befürworteten Palästinenser und Jordanier eine direkte Vermittlung der USA, die bislang lediglich hinter den Kulissen mitgewirkt haben. US-Präsident George Bush forderte die Kontrahenten am Dienstag abend auf, endlich den Verfahrensstreit beizulegen und über Frieden zu reden. Bei den diplomatischen Präliminarien geht es jedoch auch um grundlegende Fragen. Das gilt für scheinbar prozedurale Schwierigkeiten bei den israelisch-palästinensisch-jordanischen Vorzimmergesprächen ebenso wie für die Meinungsverschiedenheiten, die bei den regulären Sitzungen der Israelis mit den Syrern und Libanesen auftreten.

Im Kern geht es nach wie vor darum, was überhaupt auf der Tagesordnung der eigentlichen Verhandlungen stehen soll. Zwischen Israel und Syrien besteht ein Dissens über das Prinzip „Land gegen Frieden“, sprich: die Rückgabe der annektierten Golan-Höhen an den jüdischen Staat. Die Gespräche mit den Libanesen sollen immerhin in einer entspannten Atmosphäre stattfinden, doch konkrete Ergebnisse, etwa über einen israelischen Rückzug aus dem besetzten Süden des Landes, wurden auch hier nicht erzielt.

Bei den Vorverhandlungen mit der gemeinsamen palästinensisch- jordanischen Delegation schließlich geht es um die Möglichkeit zweigleisiger Verhandlungen, um die Frage, ob und inwieweit Israel bereit ist, im Rahmen der gemeinsamen Vertretung auch alleine mit den Palästinensern über deren konkrete Anliegen zu reden und ihnen in diesen Fragen auch ein eigenes Entscheidungsrecht zuzugestehen. Bislang besteht Israel darauf, daß nur die offizielle, gemeinsame Delegation der eigentliche Entscheidungsträger ist. Hintergrund ist, daß die Regierung in Jerusalem sich eine endgültige Lösung des Palästinenserproblems nach einer Phase der Selbstverwaltung nur im Rahmen mit Jordanien vorstellen kann. Schamir hat wiederholt erklärt, die Palästinenser stellten ja bereits in dem haschemitischen Königreich die Mehrheit der Bevölkerung, während in der besetzten Westbank nur Platz für Israelis sei.

Angesichts der stagnierenden Gespräche in Washington erhält die zunehmend aggressive Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten eine zusätzliche Dynamik. Nach dem Einzug von Siedlern der religiösen Gruppe El Ad in das arabische Ostjerusalemer Viertel Silwan, eine Aktion, der die Regierung ihren Segen gab, treten auch die Siedler in der Westbank wesentlich härter auf. Ein hoher israelischer Polizeibeamter warnte am Montag vor einer „jüdischen Intifada“, die den Kampf gegen die Palästinenser aufzunehmen drohe. „Sie wissen, daß die Regierung auf ihrer Seite steht, daß ihre Leute im Kabinett sitzen und das die Regierung ihren Aktionen die notwendige Deckung gibt,“ erklärte ein anderer Polizeioffizier.

Gleichzeitig beschwerte sich ein Militärsprecher, daß die Armee ihre „normale“ Tätigkeit in den besetzten Gebieten häufig vernachlässigen müßte, weil sie sich mit den gesetzeswidrigen Aktionen der Siedler befassen müsse. „Die Armee wird genötigt sein, Sondereinheiten einzusetzen, sobald die Siedleraktionen unkontrollierbar werden,“ sagte der Sprecher. „Darin liegt eine Konfrontationsgefahr, die vermieden werden sollte. Es ist zu hoffen, daß die politische und religiöse Führung der Juden in den besetzten Gebieten Schritte ergreift, die vermeiden, daß es zu einem vermehrten Ausbruch von Siedleraktionen kommt, die schließlich zu einem Zusammenstoß mit dem Militär führen können.“

Die US-Administration hat bereits ihre Besorgnis über die Siedleraktionen zum Ausdruck gebracht. Sie ist der Meinung, daß die israelische Regierung nicht genügend dafür tut, um die Siedler in ihre Schranken zu weisen. Im aktuellen Fall Silwan hat das State Department bekanntgegeben, daß es in dieser Frage Gespräche zwischen Washington und Jerusalem gibt.

Solche von der Regierung unterstützten Aktionen ziehen eine weitere Eskalation in den besetzten Gebieten, vor allem in der Westbank, nach sich. Der Zweck der Übung ist in erster Linie, den Friedensprozeß zu torpedieren und, sozusagen aus dem Hinterhalt, die politischen Gespräche indirekt anzugreifen und zum Stillstand zu bringen, noch ehe das Stadium der von Siedlern und Rechtsparteien gefürchteten Autonomie-Verhandlungen erreicht ist. Gleichzeitig steht hinter diesen Aktionen das Bemühen, die gesamte Siedlerbevölkerung dafür zu mobilisieren, was sich jetzt „Gegenintifada“ nennt. Damit soll der intensive Kolonisierungsprozeß mit Landnahme und schnellem Hausbau sowie die Übersiedlung von noch mehr Familien vorangetrieben werden, um einem, sei es auch nur vorübergehenden, Siedlungsstopp vorzubeugen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen