Oberstdorf: Bürgermeisters Mogelpackung

Hinter dem Streit um das Prädikat „heilklimatischer Kurort“ und „autofreies Oberstdorf“ verbirgt sich ein regelrechter Kleinkrieg/ Bürgermeister der großen Ankündigungen gegen die „Nestbeschmutzer“ von Grünen und Bund Naturschutz  ■ Von Klaus Wittmann

Oberstdorf (taz) — Wer dieser Tage im mäßig verschneiten Allgäu die Bundesstraße 19 entlangfährt, bis die Gipfel sich schließlich im südlichsten Kurort der Republik zu treffen scheinen, ahnt vielleicht etwas von Schneekanonen, nichts jedoch von den unsichtbaren Kanonen, von denen in Oberstdorf derzeit aus vollen Rohren geschossen wird. Viel deutlicher denn je ist gerade jetzt das Kampfgetümmel eines seit Jahren wütenden Kleinkrieges zu hören. Einigen „Nestbeschmutzern“ vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und den örtlichen Grünen wird aus dem Rathaus recht unverhohlen signalisiert, man müßte sie endlich aus dem Verkehr ziehen. Sogar von „eliminieren“ soll schon die Rede gewesen sein.

Nun ist der seit fast 20 Jahren regierende Rathauschef Eduard Geyer, der seinen Namen selbst gern mit Ed. Geyer abkürzt, nicht gerade für sanfte Umgangsformen bekannt. Aber was sich dieser Tage im Kurort mit den meisten Feriengästen Deutschlands abspielt, geht über Geyers Forderungen (Anschluß an Österreich, Rentner als Hilfssheriff, Eintritt für einen Besuch in Oberstdorf) weit hinaus. Manche munkeln, der erst vor einem Jahr wiedergewählte Geyer wolle die vor ihm liegende fünfjährige Amtszeit nutzen, um ohne große politische Folgen in den Reihen der KritikerInnen gehörig aufzuräumen.

Der gen Oberstdorf eilende Tourist ahnt von alldem nichts. Er wundert sich bestenfalls über den enorm starken Autoverkehr. Wo doch in den vergangenen Monaten in Blättern in der gesamten Bundesrepublik zu lesen war, daß Oberstdorf bald völlig autofrei sein soll. „Das kündigt der Bürgermeister seit 15 Jahren immer wieder so geschickt an, daß viele glauben, bei uns gäbe es gar keine Autos mehr. Tatsächlich jedoch ist unser Prädikat als heilklimatischer Kurort durch die hohen Luftschadstoffe gefährdet“, wettern Walter Kopczak und Sigi Rohrmoser von der Ortsgruppe des BUND. Und Martin Armbruster von den Oberstdorfer Grünen, auch einer dieser „Nestbeschmutzer“, spricht gar von einer „Mogelpackung des Bürgermeisters“. In der Hochsaison gehe es zu wie in München am Stachus, und zu Fuß könne man sich kaum mehr durch den Ort bewegen. Dann erinnern sie daran, daß der Gemeinderat jedoch einstimmig einen vorbildlichen Grundsatzbeschluß gefaßt hat, der ganz Oberstdorf zum stark verkehrsberuhigten Kurort machen will. „Aber auch da lassen konkrete Fristen auf sich warten; wie immer viele Worte und wenig Taten“, schimpft Rohrmoser, der es für unvertretbar hält, daß die alle fünf Jahre fälligen Luftschadstoffmessungen des Innenministeriums, bei denen es um den Erhalt des Prädikats „heilklimatischer Kurort“ geht, um ein Jahr verschoben wurden.

„Diese Vorwürfe sind Quatsch“, sagt Bürgermeister Ed. Geyer (CSU), der allerdings über die Freie Wählervereinigung in sein Amt gewählt wird. „Wir haben beantragt, die Schadstoffmessungen zu verschieben, weil gravierende Änderungen im nächsten Jahr anstehen.“ Zwei bis drei schadstofffreie Elektrobusse sollen Mitte 1992 im Rahmen eines Modellprojekts des bayerischen Umweltministeriums angeschafft werden. Das könnte durchaus eine gewisse Luftverbesserung schon im kommenden Jahr bringen, sagt der zuständige Projektleiter im Hause Gauweiler, Regierungsdirektor Haus. Dies vor allem deshalb, weil Anfang 1992 erste Ergebnisse und danach eine schnelle Umsetzung weiterer verkehrsberuhigender Maßnahmen aus einem Verkehrsgutachten erwartet werden. Die Elektrobusse sollen BesucherInnen in den Ortskern bringen, nachdem diese ihre Autos am Ortsrand abgestellt haben. Der zuständige Fachmann für die Bäder-Prädikate im bayerischen Innenministerium, Hans Schieder, stimmt Geyer zu, daß unter diesen Voraussetzungen ein Aufschub der Messungen um ein Jahr vertretbar sei. Gefährdet ist nach Schieders Worten das Prädikat „heilklimatischer Kurort“ noch nicht, auch wenn das der Vorsitzende des BUND in einem Beschwerdebrief an den bayerischen Innenminister Stoiber behauptet hatte.

Einen weiteren Kritiker hat Geyer schon erfolgreich abgebremst: den Vorsitzenden des VdAK-Ortsausschusses Kempten, Karl Lanz. Der hatte nämlich dem BUND auf Anfrage einen für Oberstdorf folgenschweren Beschluß seines Gremiums bestätigt, demzufolge der VdAK seinen Mitgliedskassen nahelegt, in den Hauptferienzeiten vom Kuren in Oberstdorf abzusehen — wegen der zu hohen Verkehrsbelastung. Nach Androhung rechtlicher Konsequenzen und gegenteiliger Äußerungen des AOK-Chefs teilte Lanz dem Oberstdorfer Bürgermeister mit, daß das alles so gar nicht gemeint war: „Es war absolut nicht unsere Absicht, den Kurort Oberstdorf zu schädigen.“

Ein „Gschmäckle“ bleibt freilich in Oberstdorf. Auch wenn sich BUND und Grüne vergangene Woche bei der Bürgerversammlung zum Teil böse Vorwürfe anhören mußten. „Das sind doch alles Scheingefechte, die derzeit in unserem Ort ausgetragen werden“, sagt einer, der die Szene dort wie kaum ein anderer kennt: Anton Huber (CSU) ist dritter Bürgermeister, war bis zu seiner Wahl zum Vize-OB CSU-Fraktionschef, und seine Familie blickt in Oberstdorf auf eine 500jährige Tradition zurück. Huber findet einige Äußerungen von Grünen und BUND-Mitgliedern, vor allem im Beschwerdebrief an Innenminister Stoiber, völlig überzogen und wenig sachdienlich. „Auf der anderen Seite muß ich aber sagen, wenn in unserem Ort bewußt Kritiker mundtot gemacht werden sollen, dann bin ich nicht mit dabei.“

Huber weiß, wovon er spricht. Er hat mitansehen müssen, wie in Oberstdorf ein kritischer Lokalredakteur „fertiggemacht“ wurde. Und er weiß, wieviel in Oberstdorf noch zu tun ist, um den Kur- und Fremdenverkehrsort attraktiv zu erhalten. „Es gibt eine Verkehrssituation, die sehr prekär ist und wo durch gezielte Maßnahmen sehr schnell etwas getan werden muß“, fordert er. Auf die knapp 11.000 EinwohnerInnen kommen 17.000 Saisonbetten und täglich 20.000 Ausflügler. Das macht jährlich 2,5 Millionen BesucherInnen.