Kasachstan will seine Atomwaffen behalten

■ Keine Einigung über Zukunft der Bomben/ Drei Männer mit dem Koffer: Gorbatschow, Jelzin, Shaposhnikow

Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew will so lange nicht auf eigene Atomwaffen verzichten, wie Rußland über solche verfügt. Während in Alma Ata US-Außenminister James Baker neben ihm süß-sauer lächelte, erklärte Nasarbajew, Kasachstan sei bereit zur Vernichtung der Atomwaffen — auf globaler Ebene. Das beziehe dann aber die russischen und US-amerikanischen mit ein. Bis dahin wolle er zunächst mit den anderen drei Atomrepubliken Weißrußland, Ukraine und Rußland ein Abkommen unterzeichnen, um die Atomwaffen unter gemeinsame Kontrolle zu stellen. Baker reiste von Republik zu Republik, um die Chefs der neuen Staaten von der Notwendigkeit einer zentralen Atomwaffenkontrolle zu überzeugen.

Rußlands Präsident Boris Jelzin hatte zu Wochenbeginn in Moskau noch erklärt, allein Rußland werde Atomwaffen behalten. Die drei anderen Republiken würden ihre mit Hilfe der USA zerstören. Nasarbajew dazu sibyllinisch: „Jelzin und ich haben über den Verbleib atomarer Waffen in Rußland und in Kasachstan gesprochen.“ Die Vorgespräche hätten gezeigt, daß die Präsidenten Rußlands und Kasachstans eine gemeinsame Sprache finden könnten. Nasarbajews Sprecher noch deutlicher: „Wir haben dem nicht zugestimmt, das ist nicht akzeptabel.“ Die vier sowjetischen Atomwaffenstaaten würden sich aber in jedem Fall darauf verständigen, Atomwaffen und ihre Technik nicht in andere Länder zu verbreiten. Der ukrainische Präsident Leonid Kravchuk hatte in den vergangenen Tagen nur versprochen, daß die Ukraine irgendwann atomwaffenfrei werden wolle, aber offengelassen wann.

Trug bis zum Putsch im August Michail Gorbatschow allein den Koffer mit den elektronischen Codes für den Start der sowjetischen Atomwaffen, so hatten westliche Beobachter auch hinter Boris Jelzin in den vergangenen Wochen einen Mann mit Koffer wahrgenommen. Auch der sowjetische Verteidigungsminister Jevgeny Shaposhnikow machte nach US-Angaben klar, daß er sich im Zentrum einer zukünfigen atomaren Entscheidungsstruktur für den geplanten Commonwealth sieht. Konstantin Kobets, designierter russischer Verteidigungsminister, sagte in 'Le Monde‘, daß Shaposhnikow heute schon mit Gorbatschow und Jelzin die effektive Kontrolle über die Atomwaffen ausübe.

Der Streit zwischen Nasarbajew und Jelzin dreht sich zunächst um die weitreichenden sogenannten strategischen Atomwaffen. Davon verfügte die alte UdSSR über 11.000. Diese waren in den oben genannten vier Republiken und auf den U-Booten der Sowjetmarine verteilt. Kasachstan verfügt über 1.150 Sprengköpfe, Weißrußland über 100, die Ukraine über 1.300, und der Löwenanteil von 9.650 Atomsprengköpfen ist in Rußland stationiert. Daneben hatte die Rote Armee mindestens 16.000 taktische Atomwaffen. Diese gefährlichen Waffen sollen zwar inzwischen aus Osteuropa und dem Baltikum abgezogen worden sein, in den ehemaligen Sowjetrepubliken Moldawien, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und den zentralasiatischen Republiken Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien sollen solche zum Teil in Kisten von Schreibtischgröße verpackten Atomsprengköpfe nach wie vor gelagert und von russischen Spezialtruppen bewacht sein. Rund 1.000 dieser taktischen Atomwaffen seien ständig auf Transportern unterwegs, hieß es in der vergangenen Woche. Hermann-Josef Tenhagen