PS-Mythen

■ „Mama, Papa, Auto“, 20.15 Uhr, ARD

Nicht nur die Katze hat neun Leben. Auch der Autofahrer. Neun Unfall-Bonusse besitzt der bundesdeutsche PS-Fetischist zwar nur an einem Videospiel, das Claus Striegel und Bertram Verhaags postapokalyptischer Nachruf auf die Automobilkultur leitmotivisch durchzieht. Doch auch der Kraftfahrer in natura bewegt sich auf der Straße so arglos, als wäre er der unverwundbare Highlander aus dem Kino.

Mama, Papa, Auto ist jedoch kein voyeuristischer Führer durch die vierrädrige Crash-Kultur, kein Horrorfilm mit dokumentarischem Anspruch. Striegel und Verhaags Feature wendet sich ganz an den Verstand. In einer Art fiktivem Rückblick wird das Automobil als ökologische und verkehrstechnische Fehlentwicklung vorgestellt.

Neben nüchternen Fakten eine assoziative Bildmontage: Während die bayerische Stadt Lanzendorf infolge der Verkürzung ihrer Vorgärten durch eine Autobahntrasse ökologisch gemeuchelt wird, lauschen wir einem skurrilen Diskurs Jürgen Scherers von der „Autopartei — die Freiheitlichen“: „Was haben die Römer als erstes gemacht? Die Straßen gebaut.“

Auf den Spuren der irrationalen Lust gleitet der Film bisweilen in populärpsychologische Spekulationen ab. Die erste schaukelnde Autofahrt des Neugeborenen aus der Klinik nach Hause sei ein prägendes Ereignis. „Auto“ sei eines der ersten Worte, die das Kind nach Mama und Papa lernt. Obwohl die Autoren aufgrund der Titelwahl hier den Schwerpunkt ihres Features sehen, schadet diese Trivialisierung dem Film erstaunlicherweise kaum. Unwillkürlich reiht man derart unfreiwillig komische Erklärungsversuche ein ins Stakkato der PS-Mythen, die der Film wie eine Stalinorgel auf uns abfeuert. In Österreich gibt der Erzbischof einem Spalier blankgeputzter Karossen via Weihwasser Gottes Segen mit auf die Überholspur. In der Autowaschstraßen-Peepshow in Montreal masturbieren geschäumte Damen rittlings auf der Kühlerhaube. Mama, Papa, Auto ist ein vexierbildartiges Sittengemälde der Fortbewegungskultur, eine rasante Bilder-Rallye durch die Niederungen des automobilen Verstandes. Neben seiner Faktenmoral, die die Abschaffung des Autos als rationale Entscheidung einklagt, bündelt der Film geschickt die vielen Bereiche, in denen der oberflächliche Gebrauch des Autos tief ins Mythologische hinabreicht. Nur die antiökologischen Hohepriester vom ADAC kommen leider ungeschoren davon. Manfred Riepe