Therapie und Vollzug vertragen sich nicht

■ Verlegung stellt Sozialprognose in Frage

[...] Ich möchte erreichen, daß die breite Masse, aber auch die hohen Beamten des Vollzugs, erfahren, wie und mit welchen Mitteln in der Sozialtherapie gearbeitet wird. Vorweg möchte ich Ihnen aber mitteilen, daß ich die Institution als solche begrüße, da sie für viele eine wirkliche Hilfe darstellt. Bedauernswert jedoch ist, daß sich in vielen Fällen Therapie und Vollzug nicht vertragen. Das haben ich und zur Zeit auch einige Leidensgenossen jetzt am eigenen Leibe gespürt. Zu meiner Situation:

Seit 25 Monaten befinde ich mich in der Sozialtherapie Gelsenkirchen. In dieser Zeit gab es keinerlei nennenswerte Zwischenfälle. Regelmäßig ging ich meiner Arbeit nach. Die Therapie, die ich sehr ernst genommen habe und auch noch wahrnehme, ist nach meiner Beurteilung sehr erfolgreich gewesen. Dieses bestätigte mir auch meine Therapeutin, Frau Enstrup. Seit 15 Monaten bin ich im Genuß von Lockerungen, wo keinerlei Mißbrauch stattgefunden hat. Da ich zum 20.Dezember 1991 entlassen werden sollte, habe ich mich frühzeitig um eine Arbeitsstelle gekümmert. Aufgrund meiner Bemühungen und meiner guten Arbeit in der Hauswerksmeisterei, wurde mir im Oktober 1991 der Freigängerurlaub zugesprochen. Da ich für meine neue Arbeitsstelle den Führerschein benötige, habe ich im August 1991 mit dem Führerschein Klasse3 begonnen. Da ich keinerlei finanzielle Unterstützung bekomme, habe ich meine Wochenendlockerungen benutzt, um nebenbei zu jobben. Mittlerweile habe ich 700DM auf meinen Führerschein plus kleinere Nebenkosten eingezahlt.

Aufgrund meiner Entlassungsvorbereitung, unter anderem auch mit den Ämtern, stand ich unter großem Streß. In dieser Situation habe ich mich durch mehrere Provokationen zu einer leichten Körperverletzung (Ohrfeige) hinreißen lassen. Nach diesem Vorfall habe ich mich mit dem Geschädigten zusammengesetzt, ihm meine Situation geschildert und mich entschuldigt. Ich entschuldige diese Tat nicht, aber mit dem Gespräch war dieses Anliegen für mich erledigt. Die Anstalt sieht das jedoch ganz anders. Sie beantragte die Verlegung nach Bielefeld oder ließ mir die Alternative: halbes Jahr Lockerungssperre und Verlegung des Entlassungstermins auf den Zwei-Drittel-Zeitpunkt im Juni 1992. Da diese Entscheidung nach Aussagen mehrer Personen übereilt stattgefunden hat, hoffte ich, daß sie geändert werden könnte. Besonders lag mir daran, meine Arbeitsstelle und auch die Wohnung zu behalten, was durch eine Verlegung ausgeschlossen wäre. Ein weiterer Grund war, daß mir der Führerschein sehr wichtig war und ich das Geld dafür nicht umsonst verdient haben wollte.

Da ich gelernt habe, mich für meine Interessen einzusetzen, habe ich das auch getan. Nach Aussagen der Anstalt und meines Wohngruppenleiters ist es jetzt so weit, daß eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist. Im Januar 1992 soll ich deshalb nach Castrop-Rauxel oder Senne verlegt werden. Durch diese Entscheidung, die ich persönlich nicht akzeptieren kann, verliere ich alles, worum ich mich bemüht habe. Um eine gute Sozialprognose. Die Entscheidung, straffrei zu leben, hat mich zu diesen Bemühungen angespornt. Durch die Verlegung ist eine neue Sozialprognose in Frage gestellt, da ich nach der jetzigen Entlassung bei meinen Eltern in Niedersachsen wohnen müßte und keine Arbeit finden würde. Ich müßte in Westfalen Wohnung und Arbeit zusammen finden, was ich für fast unmöglich halte.

Der Vorschlag, den ich gegenüber der Anstalt gemacht habe, fand keinen Nährboden: mich im Februar/März 1992 zu entlassen (1/2 Jahr Beurlaubung) und mir ab sofort wieder Lockerungen zuzusprechen, um den Führerschein zu beenden, wäre für beide Seiten sicherlich die beste Lösung gewesen. So hätte ich die Bemühungen nicht umsonst geleistet und könnte Arbeit und Wohnung behalten. [...] J.W., Gelsenkirchen