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Abwicklung ja, aber sozialstaatlich

■ Verfassungsrichter: Mindestanstandsregeln bei Auflösung der Akademie der Wissenschaften Ost

Berlin (taz) — Rund 7.000 Beschäftigte der Akademie der Wissenschaften Ost können vorerst aufatmen. Das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe erließ gestern eine einstweilige Anordnung, daß für die meisten von ihnen das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.12. beendet wird. Es gab jedoch nicht dem Begehren der 467 Beschwerdeführer statt, für alle Betroffenen bis zur Entscheidung in der Hauptsache am 10. März eine Weiterbeschäftigung zu erreichen. Das BVG verfügte die Einhaltung einiger sozialer Mindeststandards bei der Abwicklung der Akademie, die laut Einigungsvertrag zum Ende des Jahres aufgelöst werden soll. So können nur jene Beschäftigten schon zur Jahreswende entlassen werden, die schon vor dem 30. November den Bescheid über ihre Nichtübernahme bekommen haben. Dies sind nur rund 300.

Zwischen dem Bescheid und der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses müsse, so das Bundesverwaltungsgericht, eine Frist von mindestens einem Monat liegen. Außerdem müssen alle Frauen im Mutterschaftsurlaub bis zur Entscheidung in der Hauptsache (am 10. März) weiterbeschäftigt werden, also zumindest bis Ende April. Schließlich soll allen Beschäftigten, die bisher nur unverbindliche mündliche Zusagen über eine Weiterbeschäftigung bekommen haben, einen einklagbaren Anspruch erhalten, daß diese Zusagen auch eingehalten werden.

Nach einer Mitteilung der Rechtsanwälte der Beschwerdeführer, Frank Lansnicker und Thomas Schwirtzek, bedeutet die Entscheidung, daß zum 1.1.92 niemand der derzeit noch 17.000 Beschäftigten arbeitslos wird. Für rund 10.000 gibt es bereits eine Zusage über die Weiterbeschäftigung in den Instituten, die auch nach dem 31.12.91 weitergeführt werden. Die übrigen 7.000 können zumindest auf eine „Anstandsfrist“ von einem Monat zwischen Bescheid und Entlassung rechnen.

Mit diesem Urteil knüpft das Gericht an sein „Warteschleifen-Urteil“ vom April dieses Jahres an. Darin hatte es verfügt, daß Beschäftigte des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR einen Anspruch auf Übernahme haben, wenn ihre Einrichtung nicht abgewickelt, sondern weitergeführt wird. Außerdem hatte das Verfassungsgericht im Frühjahr das Fehlen besonderer Schutzrechte im Einigungsvertrag für Schwangere, Alleinerziehende, ältere Beschäftigte und andere Schutzbedürftige bemängelt.

Die Aufrechterhaltung aller Arbeitsverhältnisse bis zur Entscheidung im März hat das BVG unter Hinweis auf die „schwerwiegende“ Belastung des Haushalts abgelehnt. In zwei Parallelverfahren über die Abwicklung der DDR-Bauakademie (rund 1.100 Beschäftigte) und der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften (ca. 8.000 Beschäftigte) hat das Gericht im wesentlichen gleichlautend entschieden. marke

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