: Weg mit dem Wort »sowjetisch«
■ Sowjetisches Kulturzentrum in Berlin sucht nach neuer Identität/ Der aus Moskau stammende Direktor will es zum »Russischen Haus« machen
Berlin. Mit dem Zerfall der Sowjetunion steht auch eines ihrer wichtigsten Kulturhäuser im Ausland vor dem Nichts. »Die Lage ist chaotisch. Wir wissen nicht, wer künftig unser Namens- und Geldgeber ist«, sagt Wladimir Tschernyschew, Direktor im »Haus der sowjetischen Kultur und Wissenschaft« im Osten Berlins. Schon jetzt fließt kaum noch Geld aus Moskau, und die Kontakte sind schlecht. Von den ehemals 120 deutschen und sowjetischen Mitarbeitern sind heute nur noch knapp 40 beschäftigt.
Doch die Russen haben im Vergleich zu anderen Osteuropäern einen Riesenvorteil: Das Gebäude an der Friedrichstraße im Herzen Berlins gehört ihnen. Durch die Vermietung von Laden- und Gewerbeflächen können sie sich noch über Wasser halten. Nach der Wende war die Eigentumsfrage des 1985 bezogenen Hauses im Einigungsvertrag geregelt worden. Die Besitzansprüche der Sowjets aus DDR-Zeiten wurden für weiterhin gültig erklärt. Heute jedoch muß der Status neu verhandelt werden. »Da stehen noch Gespräche zwischen Deutschland und der dann für uns zuständigen Republik in der ehemaligen Sowjetunion an«, meint Tschernyschew.
Vom einstigen Prunk und Protz ist wenig übriggeblieben. Nur ein unscheinbares Schild über der Eingangstür gibt über die Funktion des riesigen Gebäudes mit 23.000 Quadratmetern Nutzfläche Auskunft. Im Parterre sind teure Juweliere und Modegeschäfte eingezogen. Aus der mächtigen marmornen Eingangshalle ist die überlebensgroße Lenin- Statue längst verschwunden. Klammheimlich haben die Sowjets das Sinnbild des Sozialismus schneller »entsorgt«, als es der Berliner Senat mit dem umstrittenen Lenin- Denkmal in Friedrichshain vermochte. »Am Tag des Putsches im August haben wir darüber kollektiv entschieden und ihn in drei Teile zerlegt«, berichtet Tschernyschew. Die Statue werde nun gelagert. Später soll sie einmal zusammen mit »anderen sozialistischen Utensilien« ausgestellt werden.
Besucherschwund und leere Säle kennzeichnen gegenwärtig die Situation des sowjetischen Kulturzentrums. »Nach der Wende hielten uns nur wenige die Stange«, so der Direktor. War zu DDR-Zeiten das Interesse der Ostberliner an dem sowjetischen Kulturprogramm von oben verordnet, so galt in Zeiten von Glasnost und Perestroika die Hausbibliothek als Refugium, um verbotene Zeitungen zu lesen. »Doch all das brach nach dem Fall der Mauer völlig ab, erst jetzt belebt sich unser Institut wieder allmählich«, sagt Tschernyschew, »Rußlandliebhaber entdecken uns neu.«
Wer aber künftig für das Haus an der Friedrichstraße zuständig sein wird, ist unklar. »Im Moment stehen wir allein auf weiter Flur, hoffen aber, daß wir der Republik Rußland zugeordnet werden«, so der aus Moskau stammende Direktor. Er favorisiert als neuen Namen »Das russische Haus« — das Wort »sowjetisch« müsse verschwinden.
Der kulturelle Auftrag ist schon jetzt völlig neu. Während früher unter dem Motto »Klassenkampf« das Bild der sozialistischen Gesellschaft nach außen vermittelt werden sollte, bemühen sich die Kulturreferenten heute um eine stärkere Annäherung der einstigen Klassenfeinde. Sie vermitteln Kontakte zwischen deutschen und sowjetischen Künstlern, Wissenschaftlern und Unternehmern. Für Theaterveranstaltungen, Konzerte und Fachtagungen stehen zwei große Säle mit insgesamt 700 Plätzen und zahlreiche Konferenzräume zur Verfügung.
Probleme haben die Veranstalter mit den Reisekosten der Künstler. »Ballettgruppen oder Konzertpianisten für ein Gastspiel zu gewinnen, ist nicht schwer«, sagt Tschenyschow, »doch das Flugticket können wir nicht bezahlen.« Höhepunkte des diesjährigen Programms seien der Auftritt des Bolschoi-Theaters und des bekanntesten russischen Kinderchors gewesen. Im neuen Jahr ist unter anderem ein Gastspiel des Rimski-Korsakow-Balletts geplant. Maren Martel/'dpa‘l
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