■ Lokaltermin
: Die Rehlein in der Jägerbar

Die Rehlein in der Jägerbar

Übersetzt heißt »Mislivska« Jägerbar. Irgendwie steckt in dem Wort noch der Wortstamm von »Denken«, meint der Künstler Witek Marcinkiewicz, der die Kneipe am Schlesischen Tor im November letzten Jahres eröffnete. Darauf sind die eingeweihten Gäste natürlich besonders stolz, und wähnen sich, »Danziger Goldwasser« trinkend, gerne in der Philosophenbar.

Witek Marcinkiewicz ist Künstler, und das Licht am Morgen ist wunderbar weich wie sonst nur auf den Bildern holländischer Maler. Die unverputzten Wände schimmern schwimmbadblaugrün, beige oder golden, ein bißchen Sonne schaut herein und wird vom Spiegelbogen, der die Kneipe teilt, hin- und hergeworfen. Ein wärmender Strahl im Winter ruht sich ein wenig zwischen den Rehlein auf einer Tischdecke aus, und hinter halbdurchsichtigem Glas sind rote Rosen im gelben Licht so arrangiert, als rahmten sie die heilige Jungfrau.

Im kleinen Flur zwischen Klo und Zigarettenautomaten hängen Bilder und Fotografien. Elf verschiedene Frühstücke warten morgens auf hungrige Gäste. Bauarbeiter, die zum zweiten Frühstück einkehren, bevorzugen »Max« mit Würstchen und Kartoffelsalat; andere lieben die »Süße Maus« mit Schokolade und Gummibärchen. Richtig stolz aber ist Witek Marcinkiewicz auf die Suppen und mit Speck garnierten Piroggi, die es den ganzen Tag über gibt.

Abends leuchtet eine Leiste bunter Weihnachtslampen an der Bar, an der Kollege Harald Fricke zuweilen steht und ein bißchen Hausmusik spielt oder den ganzen Abend »Queen«. Da waren alle sehr traurig über den Tod von Freddy Mercury und unterhielten sich über alte Zeiten und wie das war, was an Evergreens so übrigbleibt, und der nächste, so mutmaßte man, wird Elton John sein.

Oft feiert im Misliwska irgend jemand eine Party: Im Bethanien oder in der »Zwinger«-Galerie gab's eine Eröffnung, und alle finden sich hier wieder. Oder die SchauspielerInnen von der gegenüberliegenden Probebühne der Schaubühne schauen vorbei, oder die Jazzmusiker, die gerade ihren Gig im Kreiskulturhaus Treptow absolviert haben.

Christoph Tannert erzählt zwischen einigen Biers von alten DDR- Zeiten. Irgendwann entbrennt eine lebhaft geführte Diskussion über seltsame Super-8-Pornos, und es gibt wieder Bier, und wenn man keinen kennt, lernt man sich im Gespräch über Freunde schätzen, die gerade nicht da sind.

Wichtige Wörter über blöde Bullen, die ein Kunsthaus vorsorglich in Kampfanzügen besetzten, weil sie dachten, das Haus werde gleich von anderen besetzt, mischen sich in die Musik. Der Tagesrest erscheint dann im Traum, in dem sich zunächst zwar Sascha Anderson umbringt, am Ende aber wieder dabei ist und sich dann alle besonders gut vertragen.

Misliwska, Schlesische Straße 35, Berlin-Kreuzberg 36,

U-Bahnhof Schlesisches Tor,

täglich 10 bis 2 Uhr