Der Staatssekretär schwieg

Staatssekretäre stehen eigentlich hinter ihren Senatoren im zweiten Glied, fühlen sich aber manchmal zu Höherem berufen. Während — beispielsweise — Gesundheitssenator Peter Luther selten über die Krankenhausmauern hinausblickt und sich am Senatstisch nie ungefragt zu Wort meldet, fühlt sich sein Staatssekretär Detlef Orwat zum Weltpolitiker berufen.

So vergeht kaum eine der montäglichen Staatssekretärskonferenzen, ohne daß der Staatssekretär zu verschiedensten Fragen der Senatspolitik ausführlich Stellung beziehen. Man beschreibe das Erstaunen, als Orwat am letzten Montag eine ganze Konferenz lang den Mund hielt. Statt dessen waren es Orwats CDU-Kollegen Eike Lancelle und Ulrich Arndt, die meinten, zu der Diskussion um die PDS-Richterin noch einige grundsätzliche Anmerkungen beisteuern zu müssen.

Der um eine straffe Diskussionsführung bemühte Chef der Senatskanzlei Volker Kähne habe sich Orwat zur Brust genommen, hieß es hinterher. Besorgte Sozis befürchteten prompt gesundheitliche Folgen für Orwat (»Hoffentlich kriegt er kein Magengeschwür.«). Sie mutmaßten, die CDU-Kollegen hätten ihren Detlef wohl zum Schweigen verdonnert, um selber besser zu Wort zu kommen. Seit einiger Zeit treffen sich die CDU-Staatssekretäre nämlich regelmäßig vor der Staatssekretärskonferenz zu eigenen »Vorbereitungstreffen«. Eigentlich wurden diese Treffen jedoch nicht erfunden, um Orwat zu bremsen, sondern — so wird erzählt — um gegenüber dem Chef der Senatskanzlei mehr Durchschlagskraft zu gewinnen. Der parteilose Kähne ist den Christdemokraten nicht nur wegen seiner Abneigung gegen uferlose Debatten, sondern auch mit seinem Hang zum selbständigen Denken zunehmend suspekt.

Dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen passen solche Grüppchenbildungen natürlich überhaupt nicht ins Konzept. Er muß sich ohnehin schon fragen, wer diese Stadt eigentlich regiert. Nachdem die beiden Fraktionschefs Klaus Landowsky und Ditmar Staffelt schon im Hickhack um die Öffnung oder Nichtöffnung des Brandenburger Tors am Ende den gültigen Kompromiß fanden, handelten sie nun auch die Lösung im Streit um den Tiergartentunnel aus. Der Senat mußte den Beschluß nur noch — sozusagen — notariell beurkunden.

Während Diepgen grübeln muß, darf sich Staffelt über seinen Gewichtszuwachs freuen. Daß er in die Rolle des Wortführers der SPD im Senat hineinwächst, mag auch damit zusammenhängen, daß dort ein gewisses Vakuum zu existieren scheint. Staffelts Mitarbeiter jedenfalls würden es sich wünschen, daß mancher der SPD-Senatoren — darunter so lautstarke Männer wie Wolfgang Nagel — »ein bißchen politischer sein möge«.

Hans-Martin Tillack