„Aufbauhelfer“ nimmt Abschied

Nach vierzehn Monaten als Rundfunkbeauftragter zieht Rudolf Mühlfenzl Bilanz  ■ Von Karl-Heinz Stamm

Die Szene hatte etwas gespenstisches. Da stand im Ostberliner Funkhaus in der Nalepastraße Anfang der Woche ein kleiner Tisch. Mitten darauf ein Telefon, das vermittels einer Standleitung mit dem ZDF in Mainz verbunden war. Ansonsten war der Raum leer. Draußen vor der Tür eine Menschenschlange. Jeder der nun eintrat, den Telefonhörer nahm und seinen Namen sagte, hörte wahlweise zwei Sätze. Entweder: „Herzlichen Glückwunsch. Sie werden ab 1. Januar 1992 bei uns angestellt“, oder: „Es tut uns leid, alle Stellen sind besetzt.“ In dieser Form erfuhr das technische Personal von DS-Kultur, ob es ab 1. Januar beim Klassiksender mitarbeiten kann.

Sie müssen froh sein die 56, die schließlich einen befristeten Arbeitsvertrag vom ZDF bekommen haben, denn nur 4.500 bis 5.000 der ehemals 1.400 Mitarbeiter des DDR-Rundfunks und des Deutschen Fernsehfunks (DFF) werden bei öffentlich- rechtlichen oder privaten Rundfunkveranstaltern eine Anstellung finden. Der Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl, dessen Arbeitsauftrag per Jahresende zu Ende geht, sieht das natürlich anders. Selbst wenn man es ihm übertragen hätte, den zentralistischen Rundfunk der DDR zu erhalten, auch dann hätte er auf diese Zahl heruntergefahren werden müssen. Daß überhaupt so viele Rundfunkmitarbeiter eine neue Anstellung finden, hängt nach seiner Meinung auch damit zusammen, daß er die schwerwiegend politisch Belasteten bereits aussortiert hat: „Ohne die Fragenbogenaktion, wäre das nicht möglich gewesen.“

Nach vierzehn Monaten als „Aufbauhelfer“ blickte Rudolf Mühlfenzl am Donnerstag in Berlin vor der Presse auf seine Arbeit mit Stolz zurück. „Oder“, so der abschiednehmende Bayer, „hätten sie vor einem Jahr gedacht, daß drei der vier DDR- Hörfunkprogramme vorerst weitersenden dürfen?“

In der Tat ist es nicht nur der Klassiksender DS-Kultur, der als Teil eines zukünftigen nationalen Hörfunks weiterleben darf, auch für den „Berliner Rundfunk“ ist quasi in letzter Minute eine Privatisierungskonzept erarbeitet worden. Selbst die Aussichten für das Jugendradio DT64 sind nicht schlecht. Auch wenn dieses Programm vorerst nur ein halbes Jahr beim MDR auf einer ungenutzten Privatfrequenz geparkt wird, „wenn jemand erst einmal auf einer Frequenz sitzt, dann ist er nur schwer herunterzuholen“. Schließlich konnte eine Elf99-Produktionsgesellschaft für das Jugendmagazin des DFF gegründet werden. Überleben wird auch das einzige Fernsehballett in Deutschland, das in private Trägerschaft übergeht.

Auf der Minusseite steht Radio Aktuell, ein Programm das Ende des Jahres seinen Sendebetrieb einstellt. Sowie das Trickfilmstudio in Mahlsdorf, das kein Interesse bei den Ländern fand. Auch der Fundus — „eine einzigartige Sammlung“ — wird veräußert.

Blickt er auf die neue Rundfunkstruktur dann bedauert er allerdings die verpaßte Chance, die sich mit einer Dreiländeranstalt im Nordosten geboten hatte. Insgesamt zwei Mehrländeranstalten, so Mühlfenzl, das „hätte eine Ruckbewegung in der ARD gegeben“. Dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) sagte er die günstigste Perspektive voraus. Kritisches bemerkte er zum Beitritt Mecklenburg-Vorpommerns zum NDR an: „Wie die wohl ihre Identität in einer Vierländeranstalt wahrnehmen wollen?“ Auch die Ergebnisse der Neuordnung in Berlin-Brandenburg beurteilte er negativ, denn angesichts des bevorstehenden europäischen Wettbewerbs ist heute Kooperation gefragt. Der „Probenregisseur“ im Stück „neue Fernsehgeschichte“, ist jedenfalls überzeugt, daß auch im Westen Radio und Fernsehen 1992 „nicht das gleich sein werden wie zuvor“.

Eines hat Mühlfenzl im Osten jedenfalls gelernt: daß nämlich Empfindlichkeit und Befindlichkeit etwas anderes sind. Was damit gemeint ist, werden wir demnächst erfahren, denn nach der Devise, das glaubt dir in zwei Jahren sowieso niemand, will sich der Bayer im hohen Rentenalter jetzt an den Schreibtisch setzen und alles aufschreiben. Das jedenfalls hat ihm seine Ehefrau geraten.