B'90: Korrumpiert am Runden Tisch?

Memorandum des grünen Bundesvorstands kritisiert Politikkonzept des Bündnis 90/ Die Grünen-Absicht, sich B'90 ohne Federlesens einzuverleiben, stößt beim Opfer auf wenig Gegenliebe  ■ Von Matthias Geis

Berlin (taz) — Immerhin: das erste offizielle Treffen zwischen dem grünen Bundesvorstand und dem Sprecherrat des Bündnis 90 am 28.Oktober in Berlin „verlief freundlich“. Auch wenn das gastgebende Bündnis 90 „leider nur einen sehr knappen Zeitrahmen“ für die gegenseitige Kontaktaufnahme „vorgesehen“ hatte, „dessen erbetene Ausdehnung aus terminlichen Gründen zu einer weiteren Verringerung der Teilnehmer auf Seiten des Bündnis 90 führte“, kommt das gerade veröffentlichte Memorandum des grünen Bundesvorstandes alles in allem zu einer positiven Wertung des ersten Gesprächskontaktes: „Dieses Treffen verlief freundlich; es beinhaltete im wesentlichen einen offenen, allgemeinen Meinungsaustausch.“ — Na bitte.

Mittlerweile allerdings scheint der grün-bürgerbewegte Meinungsaustausch ins Stocken zu geraten. Nachdem Ludger Volmer dem Bündnis am vergangenen Montag seine Zeitperspektiven für die Kooperation via Bonner Presse übermittelte und seiner Frustration über die bislang „fruchtlos“ verlaufenen Gespräche Luft machte, reagierte der Sprecherrat des Bündnis seinerseits verschnupft: Man werde sich vom grünen Bundesvorstand in Sachen Kooperation „nicht ultimativ unter Druck setzen lassen“, erklärte der Bundestagsabgeordnete Werner Schulz. Wolfgang Templin, ebenfalls im Bündnis-Sprecherrat, präzisierte: Ein grüner Bundesvorstand, der nicht einmal in seiner eigenen Partei über Autorität verfüge, könne nicht ernstlich als exklusiver Partner für die Verhandlungen mit dem Bündnis auftreten. Im übrigen sei die vom grünen Bundesvorstand favorisierte Strategie, die Bürgerbewegung solle sich ohne viel Federlesens den Grünen anschließen, mit dem Bündnis nicht zu machen. Das „Memorandum“ des Bundesvorstandes zu den „Perspektiven und Problemen einer Annäherung“ zwischen Grünen und Bündnis 90 vom 10.Dezember wird im Sprecherrat mittlerweile als „anmaßend“ bewertet (Templin). Als Grundlage einer zukünftigen Kooperation sei es „nicht geeignet“.

Neben einer einleitenden Einschätzung zur organisatorischen Situation der Bürgerbewegungen bietet das Memorandum einen eher larmoyant gehaltenen Rückblick auf bisherige Kontaktversuche: Da wurden „Termine mit dem grünen Bundesvorstand in der Vergangenheit nicht als Prioritär behandelt“, stießen Einladungen zum gemeinsamen Essen nur auf „mäßige Resonanz“... Warum diese schwerwiegenden Affronts, wo doch die Mitglieder des grünen Bundesvorstandes nur ihre „lange bestehenden Dialogbeziehungen fortsetzen“ wollen? Die Antwort liegt darin, daß — bis auf Helmut Lippelt — keineR aus dem grünen Vorstand vor oder nach 1989 Kontakte zur DDR-Opposition hatte. Noch auf dem Neumünsteraner Parteitag wurden die Bürgerbewegungen von Ludger Volmer als „Hebel für einen Rechtsruck“ der Grünen wahrgenommen.

Das wirkt nach — auf beiden Seiten; auch dann, wenn sich mittlerweile ein breiter grüner Konsens, von Ludger Volmer bis Joschka Fischer, formiert hat, der mit Blick auf die nächste Bundestagswahl die „organisatorische Einheit“, sprich die umstandslose Einverleibung der Bürgerbewegung, auf dem Programm hat. Während allerdings Joschka Fischer, in einer unnachahmlichen Mischung aus Pragmatismus und Ignoranz, nicht einsehen will, warum die Bürgerbewegung nicht frohgemut die Chance ergreift, sich seinem konsolidierten Laden anzuschließen, scheut der vom linken Forum dominierte Bundesvorstand die Idee einer gemeinsamen Neugründung aus Grünen und Bündnis aus inhaltlichen Gründen.

Die Vorbehalte gegen das „dialogische Politikkonzept“ des Bündnis sind ungebrochen. Warum das Bündnis auf Dialog setzt und „Abneigung gegen eine grüne Politik hat, die andere Parteien als gegnerisch definiert“, darauf gibt das Memorandum denn auch eine klare Antwort: Das Selbstbewußtsein der Bürgerbewegung sei geprägt vom „Erlebnis, als gesellschaftliche Kraft, die diskriminiert und verfolgt worden war, plötzlich den Status zu besitzen, mit den Herrschenden an einem Tisch sitzen zu können“. Im Klartext: Nicht die Erfahrung des demokratischen Umsturzes, sondern die Korruption am Tisch der Herrschenden ist das eigentlich prägende Moment für die Bündnis-Identität. Das Memorandum hingegen hält Kurs und favorisiert die altgrüne „Konfliktstrategie“.

Als vorbehaltlos kooperationsbereit ortet das Memorandum nur die Bündnis-Strömung, die „ihre Auffassung ohne jede Gefahr der Dogmatisierung als Diskussionsbeitrag in einen gemeinsamen Prozeß mit uns einspeisen will.“ Dagegen steht die Strömung, die „axiomatisch auf dem eigenen Ansatz beharrt“. Sie erwartet von der Grünen Partei, „daß sie sich völlig umkrempelt“. Eine Mittelströmung sieht ihr Angebot zu Kooperation als „erzieherische Maßnahme“, um aus den Grünen eine weniger chaotische, dafür politikfähige Partei zu machen. Die beiden letzten Gruppierungen werden, so das Memorandum, von West- Grünen umworben, „die sich mit ihren Auffassungen bei uns nicht durchsetzen konnten“. Die Verhandlungen mit dem Bündnis als Neuauflage liebgewordener westgrüner Strömungskämpfe?

Hierzu kommentarlos die selbstreflexive Schlußpointe des Buvo-Papiers: „Neue politische Erfahrungen gefährden stets Identitäten. Der aprupte Bruch, die Überführung der Identität in eine andere und ein Festhalten an der alten mit der Folge von Dogmatismus, sind denkbare Formen der Verarbeitung.“