Lange Weile Leb Kuchen Herzen

■ Empfehlungen für Kulturbesessene: Zwei Theaterpremieren zwischen den Festen

Nach dem Duden ist Weihnachten weder eine Aufforderung zum nächtlichen Besäufnis mit Weihn noch eine segenspendende Form von »Umnachtung«, sondern schlicht das christliche Fest zur Geburt Jesu. Für Kinder ist diese Party gleichbedeutend mit Geschenken und Naschkram, für Senioren ein Moment der nostalgischen Erinnerung oder einsamen Depression. Was aber macht der einfache Mensch zwischen dem 24. Dezember und Silvester?

Eine Möglichkeit, die man mit dem Wort »Tradition« bezeichnen kann, besteht darin, zwischen fettem Gänsefleisch, Marzipanriegeln und Nußmischungen literweise Alkohol in den müden Körper zu gießen, um wenigstens das Fernsehprogramm ohne Selbstmordgedanken oder bleibende Schäden in der Kleinhirnregion zu überstehen. Denn das Fernsehen scheint — nach dem Biertrinken — des Deutschen liebstes Kind zu sein, und so ist es kein Wunder, daß dieses Gerät neben dem mit Lametta und Plastikkugeln überladenen Weihnachtsbaum zur Attraktion der festlichen Tage wird.

Die zweite Möglichkeit mit Namen »Progression« (denn Reisen bildet) betrifft die Menschen, die weder etwas von Weihnachtsmännern noch von beschaulicher Tristesse oder kaltem Hundewetter wissen wollen: Im Konkurrenzkampf mit Fremden, Nachbarn und Kollegen werden abenteuerliche Reiseziele zur Flucht vor dem Fest angesteuert. Neben dem Survival-Training bei den Amazonasindianern und Erlebnistouren in der Bergwelt Nepals steht auch Gran Canaria wieder hoch im Kurs: Denn wer wirklich wissen will, wo die Belastungsgrenze des menschlichen Nervensystems liegt, kommt um diese Erfahrung nicht herum.

Wem aber weder Krippenspiele noch die »Reise nach Jerusalem« im Robinson-Club auf den Sandwich- Inseln Unterhaltung bieten, dem bleibt nur noch die dritte Möglichkeit: »Animation« durch Kultur. Trotz wenigen empfehlbaren Veranstaltungen gibt es immerhin noch zwei Premieren in diesem Jahr.

Als erstes versuchen am 29. Dezember Ludger Pistor und sein Ensemble »Voilà« um 20 Uhr im Hebbel-Theater, eine Brücke zwischen Boulevard und »ernstem« Theater zu bauen. Das Stück heißt Meine Leichen, deine Leichen und ist von dem Engländer Royce Ryton geschrieben. Es handelt von einem Krimiautor, der im Streit um die Frage »Wer liebt den anderen am meisten« seine Frau umbringt. Die herbeizitierten Polizisten, die eigentlich nur helfen wollen, produzieren im allgemeinen Chaos eine Ansammlung dahingemetzelter Frauen, so daß für die letzte der erwarteten Besucherinnen besondere Maßnahmen des Schutzes getroffen werden müssen... Alles weitere wird nicht verraten.

Wem schwarzer englischer Humor mit Leichenbergen nach den heiligen Tagen zu heftig erscheint, der kann sich am Silvesterabend mit leichter Kost in das neue Jahr einstimmen lassen. Denn am 31.12. findet um 18 Uhr im Berliner Ensemble die Premiere vom Florentinerhut von Eugene Labiche statt. Dieses Mal handelt es sich aber nicht (wie bei der Produktion von Harald Clemen 1989 im Schloßpark-Theater) um die Originalfassung, sondern um eine »Variation über eine Posse« von Manfred Wekwerth, der auch Regie führt. Deshalb vielleicht eine kurze Inhaltsangabe: Ein Pferd frißt den Hut einer Dame, die gerade im Gebüsch ihren Mann betrügt. Um einen Skandal zu vermeiden, sieht sich der Pferdehalter gezwungen, ein Duplikat zu besorgen. Leider passiert dieses Mißgeschick jedoch an seinem Hochzeitstag, so daß er bei der Jagd nach dem Hut nicht nur in peinliche Situationen gerät, sondern auch die geladene Hochzeitsgesellschaft am Halse hat. Und ob das alles komisch ist, wird man sehen.

Sollten diese Vorschläge eher Skepsis hervorrufen, so bleibt ja immer noch der Griff zum guten Buch. Oder: Bernhard und Bianca im Känguruhland besuchen. All diejenigen, die auch dieses Angebot mit der Begründung »Walt-Disney-Kitsch« verschmähen, sollten doch wieder auf das beliebte »Fressen und Saufen« zurückgreifen oder am besten einfach schlafen. Denn am 1. Januar ist garantiert alles vorbei. York Reich