»Nie für was anderes als Politik interessiert«

■ Wolfgang Wieland, Abgeordneter der Grünen/Bündnis 90, ist ein Vollblutpolitiker mit ökologisch begrenztem Ehrgeiz

Willst du nicht Umweltsenator werden? Oder Innensenator? Solche Fragen hörte Wolfgang Wieland, derzeit Vizefraktionschef der Grünen/ Bündnis 90, nicht nur zu Beginn der rot-grünen Koalition. Immer wieder mal werden sie dem 43jährigen Anwalt gestellt: »Du hättest doch das Zeug dazu.«

»Das Zeug« ist vor allem seine rhetorische Begabung. Es ist ein Genuß zu beobachten, wie dieses Phlegma von Mann am Rednerpult plötzlich Worte wie Gesteinsbrocken herausschleudert. In aller Gemütlichkeit bepfeffert er von dort aus seine politischen Gegner. Und wenn ihn dabei jemand in seiner Ruhe stört, mahnt er schon mal: »Nun seien Sie doch mal ein bißchen ruhig, Ihr Alkoholspiegel dürfte das doch gerade noch zulassen.« »Quatschkopf!«, »Unverschämtheit!« Auch solche Zurufe erträgt er nach dreijähriger Tätigkeit im Parlament — von April 1987 bis März 1989 als Fraktionschef und dann wieder seit Januar 1991 — mit Gelassenheit.

Soviel ruhig Blut gehört durchaus auch zum »Zeug«, zu seinen sozial integrativen Fähigkeiten. Seine Ex- Fraktionskollegin Halina Bendkowski spricht heute noch »voller Bewunderung« davon, wie Wieland bei mancher Fraktionsdiskussion all die unterschiedlich eitlen Persönlichkeiten »behutsam zusammenbrachte«. Auch sie gehört zu denen, die nicht so recht verstehen, »warum der Wolfgang nicht über die Grenzen Berlins hinaus bekannt ist«.

Nicht daß er frei wäre von jedwedem Narzißmus, der die Menschen die Karriereleiter hochtreibt. Auch Wieland hört sich manchmal gerne reden. Aber sein Ehrgeiz ist einer mit ökologisch begrenztem Schaum. Als Justiz- oder Innensenator möchte er sich auch in Zukunft nicht verschleißen: »Jetzt, wo die Leute im Osten mehr Polizei wollen, sind nicht die Zeiten für Reformen.« Und bei aller Leidenschaft — »mich hat nie etwas anderes als Politik interessiert« — macht ihm »zu viel fremdbestimmtes Leben« keinen Spaß.

Wolfgang Wieland ist halt ein Geläuterter. Auch parteipolitisch: Aus der christlichen Friedensbewegung kommend, geriet er als Jurastudent 1967 in Berlin »mit aufgerissenen Augen in den Politstrudel« und schließlich in den KSV, den Studentenableger der maoistischen KPD. Doch »die Lektion habe ich gelernt«, sagt er, von »stinkigem Sektierertum« mag er nichts mehr wissen.

Schon zuvor, seit 1976, begann Wieland als Anwalt zu arbeiten. Fritz Teufel hat er im Verfahren um die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten Drenkmann freigepaukt, dank eines taktisch geschickt in der letzten Prozeßminute plazierten »B-Libis«; den chancenlosen Asylbewerber Cemal Altun hat er »13 leidvolle Monate« lang vertreten, bis dieser sich in höchster Verzweiflung aus einem Gerichtsfenster zu Tode stürzte; und seit mittlerweile elf Jahren engagiert er sich vor allem für Ausländer und Flüchtlinge. Trotz seines Abgeordnetenmandats arbeitet er immer noch zehn Stunden wöchentlich in einer Praxisgemeinschaft zusammen mit Hajo Ehrig, seiner Fraktionskollegin Renate Künast und seiner Frau Sabine Wieland, mit der er auch zwei 12 beziehungsweise 17 Jahre alte Töchter hat.

Sein Weib hat er vor 20 Jahren »beim Studium« kennengelernt, oder was die Studenten halt studieren nennen: »beim Baden an der Krummen Lanke«, gibt er zu. In solchen Momenten, wenn sich beim Erzählen tiefe Lachfältchen um seine Augen kräuseln, wirkt er wie der gute Papa. Aber das täusche, gesteht er ehrlich: »Im nachhinein gesehen habe ich versagt, ähnlich das Gros unserer Väter. Am Anfang haben Sabine und ich diskutiert, welche Termine wichtiger sind, mit der Ergebnis, daß ich immer Sieger war. Später haben wir die Wochentage für die Kinderbetreuung aufteilt — die Kinder wurden zur Staffel.« Inzwischen allerdings sei sein Nachwuchs schon recht selbständig: »Schon mit 14 ist die Ältere allein zur Demonstration gegen die Abi-Deform gegangen.« Und bei der Großdemo gegen Ausländerhaß am 9. November sei die ganze Familie mitmarschiert, allerdings jeder für sich: »Ich bei den Organisatoren vorne, Sabine bei den Juristen und Töchterchen anderswo im Gewühl.«

Die Kleinfamilie Wieland ist ein weiterer Grund, warum er nicht aufs Karrieremachen aus ist: »Nach Bonn zu gehen, das hätte meinen familiären Kreis gesprengt.« Warum auch, fragt er mit einem Hauch von kokettem Understanding, »langt nicht auch ein bißchen politischer Einfluß?« Und: »Ich kenne keinen Menschen, auf den ich neidisch wäre.«

Man glaubt es ihm. In dem, was er tut, scheint Wolfgang Wieland eins mit sich zu sein. Aber mehr als eine Dreifachbelastung — als Abgeordneter, Anwalt und als Bundesvorsitzender des Republikanischen Anwaltsvereins — mag er nicht ertragen, auch wenn ihn die Passion für die Politik sogar so weit treibt, noch vor dem Einschlafen schwerverdauliche Werke wie den Zusammenschluß der Staaten in Ostafrika zu lesen. Was interessiert ihn der ferne Kontinent? »Afrika ist kaputt. Dort und auch in Osteuropa wird die Menschen bald nichts mehr binden. Die gegenwärtige Flüchtlingsproblematik ist nur ein müdes Vorspiel zu dem, was uns noch erwartet — auch angesichts der kommenden ökologischen Katastrophen.« Ist das die Utopie der Abgeklärten? »Den Glauben, Vernunft setze sich durch, habe ich nicht mehr«, sagt er leise. »Im Hinblick auf die Ökologie und die Dritte Welt versagt der Westen völlig. Aber da bin ich als Provinzpolitiker auch am Ende meines Lateins.« Und trotzdem macht er weiter, halt auf deutsch. Ute Scheub