: Zorn über korrupte Regierung Kambodschas
■ Proteste gegen die Bereicherung eines Ministers wachsen sich zu Demonstrationen gegen Polizeiwillkür und für Menschenrechte aus/ Drei Tote und Dutzende Verletzte/ SNC-Sitzung und Staatsbesuche abgesagt/ Regierung sucht Schuld bei Roten Khmer
Phnom Penh/Berlin (afp/taz) — Besuche ausländischer Staatsgäste wurden abgesagt, die Führer der Roten Khmer blieben in Thailand, und die nächtliche Ausgangssperre wurde um zwei Stunden vorverlegt: Demonstrationen und Proteste beherrschten die Hauptstadt Kambodschas am vergangenen Wochenende. Auslöser der Unruhen in Phnom Penh war jedoch nicht der Haß der Bevölkerung auf die Roten Khmer, sondern ihr Zorn über die Korruptheit der eigenen Regierung.
Daß die 1979 von Vietnam eingesetzte Regierung Hun Sens in den vergangenen Jahren das Land durch Vettern- und Günstlingswirtschaft und eine alle Lebensbereiche erfassende Korruption durchdrungen hat, war schon seit langem kein Geheimnis mehr. Tatsächlich äußerten sich ausländische Beobachter der kambodschanischen Entwicklung besorgt, die Roten Khmer könnten aus der daraus erwachsenen Unzufriedenheit der Bevölkerung Kapital schlagen, wenn es ihnen gelänge, ihr Image einer „unkorrumpierbaren Kraft“ aufrechtzuerhalten.
Mit dem Beginn des Friedensprozesses, der Öffnung des Landes für ausländische Vertretungen und internationale Hilfsgelder ist die Habgier der privilegierten Regierungsfunktionäre noch offenkundiger geworden. Am jüngsten Beispiel dieser „Selbstversorgung“ entzündeten sich nun am vergangenen Freitag die Proteste der Bevölkerung. Eine aufgebrachte Menschenmenge zog vor ein Haus, das der Minister für Verkehr und Kommunikation, Ros Chhun, für den Staat verkauft und dessen Erlös er in die eigene Tasche gesteckt haben soll. Das Haus wurde geplündert und in Brand gesteckt.
Die Versuche durch Premierminister Hun Sen, die Protestierenden zu beschwichtigen, indem er bekanntgab, der Minister sowie drei seiner Stellvertreter hätten „ihren Arbeitsplatz verlassen“, kamen jedoch zu spät. Am Samstag formierte sich ein Protestmarsch, an dem vor allem Studenten beteiligt waren. Sie forderten ein Ende der Korruption, polizeilicher Willkür und die Einhaltung der Menschenrechte. Nach Augenzeugenberichten fanden sich mehrere tausend Menschen im Zentrum der Stadt vor dem Hauptpolizeirevier ein, um für die Freilassung von sechs Medizinstudenten zu demonstrieren, die zuvor festgenommen worden waren. Mehrere hundert junge Leute in den vorderen Reihen hätten versucht, die Polizisten zu provozieren, hieß es. Einige Demonstranten warfen mit Steinen nach den Polizisten, rissen die Polizeiabsperrungen nieder und versuchten, Polizeiautos in Brand zu setzen.
Polizei überfordert — Militär greift ein
Den Angaben zufolge nahmen die Sicherheitskräfte daraufhin mehrere Demonstranten fest und verprügelten sie. Als die Menge einen der Männer befreien wollte, hätten sechs oder sieben Polizisten mit automatischen Gewehren zuerst ein Dutzend Salven über die Köpfe der Demonstranten hinweg abgefeuert. Schließlich wurden zwei Studenten erschossen. Wie es weiter hieß, wurde kurze Zeit später ein hoher Offizier vor einem Hotel erschossen. Mehrere Dutzend Menschen seien bei den Unruhen verletzt worden, verlautete aus den Krankenhäusern der Hauptstadt. Die Polizei, unerfahren in der Kontrolle von Demonstrationen und inneren Unruhen, zog sich zurück, an ihrer Stelle schritt das Militär ein.
Soldaten mit Schützenpanzerwagen umriegelten am Sonntag die Innenstadt Phnom Penhs, um weitere Proteste zu verhindern. Außenminister Hor Nam Hong gab bekannt, das nächtliche Ausgangsverbot gelte nun von 18.00 bis 5.00 Uhr.
Wegen der Unruhen war am Samstag auch die Sitzung des Obersten Nationalrates (SNC) abgesagt worden, nachdem es die Führer der Roten Khmer vorgezogen hatten, wegen fehlender Sicherheitsgarantien ihre Rückkehr aus Thailand zu verschieben. Als der offizielle Chef der Roten Khmer, Khieu Sampan, Ende November zu einer geplanten Sitzung des SNC nach Phnom Penh gekommen war, hatte ihn eine aufgebrachte Menge verprügelt, beinahe gelyncht und aus der Hauptstadt vertrieben. Im SNC, der beim Friedensprozeß eine entscheidende Rolle spielen soll, sind alle vier Bürgerkriegsfraktionen vertreten. Die vier Gruppierungen hatten im Oktober nach fast 13 Jahren Bürgerkrieg offiziell Frieden geschlossen und den Plan der Vereinten Nationen für eine politische Beilegung des Konfliktes akzeptiert.
Es überrascht nicht, daß die kambodschanische Regierung die Ursache für die Unruhen nun wieder bei den Roten Khmer sehen will. „Subversive Kräfte“, erklärte Außenminister Hor Nam Hong, hätten versucht, die Regierung zu destabilisieren. Er habe „den Eindruck“, dahinter steckten die Roten Khmer, „ich habe jedoch keine offiziellen Angaben, um dies sagen zu können“.
Angesichts der gespannten Lage in Phnom Penh wurden nun auch die noch für den Dezember geplanten Besuche ausländischer Staatsgäste, darunter PLO-Chef Arafat sowie die Außenminister von China, Laos und Vietnam, auf das neue Jahr verschoben. Li
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen