Hanau: Alle „Räder“ stehen still...

...wenn Minister Fischers Arm es will: Das Siemens-Brennstoffelementewerk ist vollständig stillgelegt/ Sicherheitsprobleme mit Wasserstofftanks/ Töpfer bestellt Fischer zum Rapport  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Erstmals in der knapp 30jährigen Geschichte der Hanauer Atombetriebe stehen dort alle „Räder“ still. Auf Anweisung des hessischen Umweltministeriums mußte die Firma Siemens in ihrem Brennelementewerk — Abteilung Uranverarbeitung — am Samstag alle betriebsrelevanten wasserstofführenden Versorgungssysteme und Anlagenteile „leerfahren und drucklos machen“. Und weil Umwelt- und Energieminister Joschka Fischer schon im Sommer den Anlagenteil Mischoxyd-(MOX)-Verarbeitung lahmgelegt hat, meldete sich die Weltfirma Siemens am Wochenende mit einer Erklärung zu Wort, auf die alle AtomkraftgegnerInnen der Region seit Jahren gewartet haben: „Siemens-Brennstoffelementewerk Hanau vollständig stillgelegt.“

Hintergrund der aktuellen Stillegungsverfügung ist ein Explosionsunglück bei der Hanauer Firma Heraeus. Dort war vor knapp zwei Monaten ein Wasserstofftank in die Luft geflogen. Und weil im atomaren Siemens-Brennelementewerk mit den gleichen mobilen Wasserstofftanks und mit ähnlichen wasserstofführenden Versorgungssystemen gearbeitet wurde, hatte Fischer den TÜV Bayern mit einer gutachterlichen Stellungnahme beauftragt. Die vor Wochenfrist vorgelegte Expertise des sicher nicht atomunfreundlichen TÜV listete „relevante Sicherheitsdefizite“ auf — und Fischer reagierte umgehend mit einer Stillegung des gesamten Betriebs. „Aufgrund der Dringlichkeit“, so Fischer, wurde das Bundesumweltministerium noch am Freitag abend informiert. Das gab zunächst grünes Licht für die Stillegung: „Das Bundesumweltministerium stellt der hessischen Atomaufsicht die Entscheidung frei.“ Doch nur 24 Stunden später zog Töpfer die Notbremse. Fischer wurde noch am Sonntag nach Bonn zitiert — zum „atomaufsichtsrechtlichen Gespräch“. Inzwischen hatte man sich offenbar auch im Bundesumweltministerium mit den Folgen dieser vorläufig letzten Stillegungsverfügung des grünen Ministers beschäftigt. In der Konsequenz, so die Firma Siemens in einer ersten Stellungnahme am Samstag, sei die gesamte Versorgung deutscher und ausländischer Atomkraftwerke mit „frischen Brennelementen“ gefährdet. Hanau sichere etwa ein Drittel der gesamten Stromversorgung der Bundesrepublik, meinte Firmensprecher Rainer Jend. Siemens droht dem Land Hessen mit Regreßforderungen in Millionenhöhe — und mit dem Zorn der knapp 2.000 Beschäftigten im Brennelementewerk, die „in die Kurzarbeit“ entlassen werden müßten. Der Betriebsleiter des Brennelementewerks, Jürgen Krellmann, monierte, daß der Firma vor der Stillegungsverfügung kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Darüber hinaus sei die Verfügung von drei Beamten des Umweltministeriums nur mündlich „überbracht“ worden. Siemens müsse aber auf einer schriftlichen Verfügung bestehen — „um dagegen juristisch vorgehen zu können“. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) hat inzwischen den bayerischen Umweltminister Gauweiler (CSU) aufgefordert, die Siemens-Brennelementefabrik in Karlstein bei Aschaffenburg umgehend vom TÜV Bayern begutachten zu lassen. Auch dort, so BBU-Vorstandsmitglied Eduard Bernhard, werde der explosive Wasserstoff im Freien gelagert. Der Wasserstofftank in Karlstein befinde sich unmittelbar an der Bahnstrecke Frankfurt—Würzburg— München.