Moskaus Atombomben im Ausverkauf

Die Geschäfte eines Hamburger Kaufmanns/ „Ich bin für den Frieden und eigentlich Grüner“  ■ Von Tenhagen/Hablützel

Berlin/Hamburg (taz) — Gerhard Voigt sieht sich in erster Linie als Kaufmann. Ein etwas ungewöhnlicher — zugegeben. Der Ingenieur für Nachrichtentechnik will mit seiner Firma in Aumühle bei Hamburg nämlich „zivile“ Atomtests für die Moskauer International Chetek verhökern. In unterirdischen Kavernen sollen Atombomben gezündet werden, um Giftmüll, Mittelstreckenraketen und anderes unerwünschte Zeug zu vernichten. Voigt bestätigt, daß ein kanadischer Auftrag zur Giftmüllverbrennung bereits vorliege. Die Verbrennung soll dann rund 2.000 Mark pro Kilo einbringen. Denn darum geht es vor allen Dingen: Die Moskauer wollen Devisen verdienen.

Voigt verdankt seine „Vermittlertätigkeit“ nach eigenen Angaben seiner langjährige Zusammenarbeit mit der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Denen habe er in den vergangenen 25 Jahren unter anderem bei Satellitenprojekten geholfen. Auch bei der Gründung der neuen russischen „Akademie der Wissenschaften“ habe er mitgewirkt. Voigt euphorisch: Jetzt könnten diese Wissenschaftler endlich richtig arbeiten. Und er wolle ihnen helfen: „Das ist ein weltweit einmaliges Potential.“ Er sei jetzt juristischer Beauftragter der Moskauer Akademie der Wissenschaften für ganz Europa.

Doch International Chetek hat nichts mit wissenschaftlicher Kooperation zu tun. Hinter der Firma steht vielmehr der militärisch-industrielle Komplex in der Noch-Sowjetunion. Die Moskauer Adresse der Chetek ist denn auch weit nobler als die Kleinstadt vor den Toren Hamburgs. Der Hauptsitz in der Varkawa Straße 15 liegt direkt im Schatten des Kreml. Und mit 200 Millionen Rubel Kapital ist die Firma großzügig ausgestattet.

Sogenannte friedliche Atomexplosionen haben Tradition in der Sowjetunion. Bis heute hat die SU über 120 solcher „ziviler“ Atombomben zur Erschließung von Öl- und Gasfeldern, zur Schaffung von Lagerräumen für Erdgas, für seismische Erkundungen und zur weiträumigen Landschaftsveränderung gezündet. Erst vor drei Jahren hatte die Sowjetunion die zivilen Atomtests aufgegeben. Die Folgen der jahrzehntelangen Atomsprengungen sind verheerend: Bei den „zivilen“ Explosionen wurden ganze Landstriche weiträumig verstrahlt. Hunderttausende von Menschen erhielten hohe Strahlendosen und erkrankten an Krebs. An mehreren Stellen entstanden aus Bombenkratern stark radioaktiv strahlende Seen. Aus den Seen werden Tiere getränkt, ihr Wasser fließt häufig in benachbarte Flüsse (taz 11.05. 91).

Eine der früheren Explosionsserien hätte nach Aussage des sowjetischen Atomphysikers Girgory Barenboim ausgereicht, einen 200 Meter tiefen Graben zwischen die Bundesrepublik und die DDR zu sprengen. Mit radioaktivem Tritium versetztes sowjetisches Erdgas aus den herausgesprengten Lagerräumen erreicht durch die Erdgas-Pipeline auch deutsche Städte, so Friedensforscher Martin Kalinowski von der TH Darmstadt.

Kaufmann Voigt in Aumühle beeindruckt die verheerende Bilanz der zivilen Atomtests nicht. „Das sind wissenschaftliche Experimente von international anerkannten Wissenschaftlern.“ Natürlich seien unter den Forschern auch welche, die fürs Militär gearbeitet hätten. „Aber was ich mache, hat damit nichts zu tun — ich bin für den Frieden und eigentlich ein Grüner.“ Und dann lachend: Der Herr Töpfer interessiere sich ganz bestimmt auch dafür. Atomexplosionen seien doch ein hervorragendes Instrument. „Das ist längst erwiesen und machbar, auch im Westen anerkannt.“

Damit hat er leider recht. Die „zivilen“ Atomsprengungen sind sogar völkerrechtlich abgesichert. Mit den USA schloß der damalige Staats- und Parteichef Leonid Breschnew im Mai 1976 eigens einen „Vertrag über Atomexplosionen zu friedlichen Zwecken“. Danach behalten sich beide Supermächte vor, „zivile Atomexplosionen“ auch „außerhalb der Atomtestgelände“ auf ihrem ganzen Territorium oder mit Billigung der entsprechenden Regierungen auch in anderen Ländern durchzuführen (Artikel 3). Die sogenannten zivilen Explosionen sollten nicht stärker als je 150.000 Tonnen TNT (12 mal so stark wie Hiroschima) sein, vorgesehene Kettenexplosionen sollte die zehnfache Stärke dieser 150 Kilotonnen nicht überschreiten. Der jeweils anderen Supermacht gestand Artikel 4 Informationen und ein Zugangsrecht zu den Orten der Atomexplosionen zu. Eine gemeinsame Beratungskommission sollte gebildet werden. Die Internationale Atomenergiebehörde in Wien (IAEA) muß informiert werden.

Die USA haben nach Protesten von Umweltschützern zwar seit den siebziger Jahren keine solchen Explosionen mehr durchgeführt. Aber auch jetzt noch halten US-Waffenexperten, wie Ray Kidder von der amerikanischen Atomwaffenschmiede Lawrence Livermore Laboratory, die Chetek-Pläne für interessant. „Es wäre bei weitem der billigste Weg, den Giftmüll zu entsorgen.“ Kidder gesteht gleichzeitig, daß weder die Umweltprobleme noch das Problem der Weiterverbreitung der Atomsprengköpfe bei solchen Tests gelöst sind.

Atomexperten und Umweltschützer weltweit sind dagegen stark beunruhigt über die Geschäfte der Chetek. Einmal über die Bemühungen, weltweit Orte für die zivilen Atomtests zu finden. Vor allem aber auch, weil die Chetek über Leute wie Gerhard Voigt in Aumühle Wissenschaftler und Know-how international vermarktet. „Von den wirklichen Nuklearspezialisten hat bisher keiner dem Land den Rücken gekehrt“, so Chetek-Geschäftsführer Wladimir Dimitrjew im 'Spiegel‘. 40 bis 60 offenbar nicht so wirkliche Experten sollen aber schon ausgerissen sein. „Nur ein halbes Dutzend von ihnen könnte den entscheidenden Unterschied machen“ für das Atomprogramm eines Dritt-Welt-Staates, so Michael Dewar vom Londoner Institut für Strategische Studien. Es bleibt im dunkeln, wie viele der 27.000 Atomspezialisten der gerade geschlossenen Atomtestanlage im kasachischen Semipalatinsk Dimitrjew für wirkliche Spezialisten hält.