DIE VERNETZTE GESELLSCHAFT
: Eine neue Heimat per Satellitenbild

In Kambodscha sucht der UNHCR mit Hilfe eines Satelliten unverminte und unbesiedelte Gebiete für die Rückkehr von fast einer Viertelmillion Flüchtlinge von der thailändischen Grenze. Doch die bleiben der technologischen Landwahl gegenüber noch skeptisch. Die UNO-Flüchtlingsorganisation muß die Repatriierung erst in langen Gesprächen vorbereiten. Ein Zusammenspiel von menschlichen und technischen Kräften, in dieser Dimension ein bislang einmaliges Experiment.  ■ VON JEAN CHICHIZOLA

Paris, im August 1989: Während der schwierige und zögernde Dialog zwischen den kambodschanischen Bürgerkriegsfraktionen gerade erst begonnen hat, denken einige Leute bereits über die nächste Phase nach – die Repatriierung von über 350.000 Flüchtlingen, die seit mehr als zehn Jahren in den Lagern an der kambodschanisch-thailändischen Grenze leben. An der Vorbereitung dieser extrem schwierigen Aufgabe beteiligen sich ein Experte, der das Land gründlich kennt, eine internationale Organisation, die über die personelle Kompetenz für die Repatriierung verfügt, und als technisches Instrumentarium der Satellit.

Der Experte ist François Grunewald, ein gelernter Agronom, der seit 1981 in Kambodscha arbeitet und als Berater der UN- Flüchtlingsorganisation UNHCR tätig ist. Grunewald kennt die ungeheuren Schwierigkeiten, die mit der Rückführung verbunden sind, und er stellt sich die Fragen, die allen, die Kambodscha kennen, auf den Nägeln brennen: Wo können die Flüchtlinge in diesem kriegszerstörten Lande wieder angesiedelt werden? Wie können die Rücksiedlungsgebiete bestimmt werden, wo doch jegliche Karten jüngeren Datums fehlen? Und wie können schließlich die Flüchtlinge selbst dazu überredet werden, mitzumachen und sich in die vorgesehenen Siedlungsgebiete zu begeben?

Für François Grunewald, der in seinem Beruf als Agronom seit Jahren mit Satellitenbildern arbeitet, bietet sich auch hier die Nutzung des Satelliten als Mittel der Wahl an. Er findet schnell Unterstützung bei seinem Arbeitgeber, dem UNHCR, in der Person des Chefs der Asienabteilung und Koordinators für die Repatriierung nach Kambodscha, Darioush Bayander. Bayander steht vor der „großen Herausforderung“, 100 – 150.000 Hektar landwirtschaftlich nutzbaren und unverminten Landes zu finden, das sich in der Nähe bestehender Dörfer befindet. Und das ist ohne Hilfe des Satelliten nicht machbar. Die Finanzierung übernimmt das französische Außenministerium, das dafür 3,5 Millionen Francs an die Genfer Organisation spendet. Die technische Seite umfaßt den französichen Beobachtungssatelliten SPOT und das französische Raumforschungsinstitut Centre Nationale d'Etudes Spaciales CNES.

Nachdem das Projekt steht, kann die Operation schließlich beginnen. Die Region, die vom Satelliten behandelt wird und die dazu bestimmt sein soll, die Flüchtlinge aufzunehmen, wird entsprechend der Bedingungen des Terrains und der Herkunftsregion der meisten Flüchtlinge ausgewählt. Umfragen in den Lagern haben erbracht, daß etwa drei Viertel der Flüchtlinge aus dem Nordosten des Landes stammen. Diese Zone von etwa 55.000 Quadratkilometern (Kambodscha umfaßt insgesamt 180.000 km2) besteht zum Teil aus „Neuland“, das in Friedenszeiten dem Wald abgerungen und zwischenzeitlich aufgrund der Kämpfe wieder verlassen wurde.

Diese Region mit ihren prekären Bedingungen (Landminen, Unsicherheit, schwieriger Zugang) bietet die Möglichkeit, hier eine große Zahl von Menschen anzusiedeln – fern der bewässerten Ebenen, die zwar reicher, aber bereits überbevölkert sind.

Menschliche Sinne kontrollieren die Maschinenergebnisse

Im Dezember 1990 macht SPOT eine Reihe von Satellitenbildern von der Region. Dies ist der erste Schritt in einem längeren Prozeß, bei dem der Computer die Satellitenbilder interpretiert und spezifische Merkmale des Terrains feststellt. Ausgehend von einem zunächst groben Satellitenbild werden dann die Daten so verfeinert, daß schließlich ein genaues Bild entsteht – Voraussetzung für eine Repatriierung. Computerinterpretationen und die Orientierung an spezifischen Merkmalen der Landschaft: auf diesen zwei Prinzipien beruht die gemeinsame Arbeit von SPOTImage und dem UNHCR. Wie Fran¿ois Grunewald betont, kann die technische Unterstützung durch den Satelliten – so unschätzbar sie auch ist – nicht hundertprozentig erfolgreich sein, wenn man nicht ständig zwischen dem Computer und der Beobachtung vor Ort hin und her pendelt.

Man findet sich hier konfrontiert mit einem Problem, das sich bei jeder Arbeit mit Satellitenbildern stellt. Ein zu großes Vertrauen in die beiden Maschinen – den Satelliten für die Bilder und den Rechner für ihre Interpretation – kann sich politisch wie wissenschaftlich nur zwiespältig auswirken. Denn das so geschaffene Bild, das in der Theorie die Realität wiedergibt – die aber eine höchst künstliche Realität ist – stimmt mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mit der vor Ort selbst beobachteten Realität überein. Diese kann ihrerseits zu politischen Zwecken manipuliert werden.

Alle an der Repatriierung der Flüchtlinge beteiligten Stellen waren sich dieser Risiken sehr bewußt und haben ihrer weitgehend Rechnung getragen. Daher hat das Projekt Modellcharakter.

Nach der Herstellung der Satellitenphotos reist also im August 1991 eine Expedition vor Ort. Sie soll die nach den Satellitenbildern erwarteten Gegebenheiten mit der vor Ort beobachtbaren Realität abgleichen. In Kambodscha begibt sie sich an 400 Stellen, die für die verschiedenen geographischen Gegebenheiten repräsentativ waren. Die hier beobachteten Landschaftmerkmale können auf die Gesamtheit der für die Repatriierung vorgesehende Zone übertragen werden.

Nach zweimonatiger Computerauswertung der Rohfassungen der Satellitenbilder ist SPOTImage dann fähig, 70 Darstellungen zu produzieren, die das ganze Zielgebiet abdecken. Nun können die Zonen, die wieder vom Wald überwachsen sind, von den nicht kultivierten ebenso wie von den landwirtschaftlich genutzten Zonen unterschieden werden.

Ende Oktober 1991 ist die rein technische Vorbereitungsphase beendet. Nun beginnt die eigentliche Arbeit für die Repatriierung. Ausgestattet mit den Dokumenten, die SPOTImage geliefert hat, begibt sich eine Gruppe von UNHCR-Vertretern nach Kambodscha. Zu ihren Aufgaben zählt erstens die definitive Festlegung der Gebiete für die Ansiedlung von 200 – 250.000 Flüchtlingen. Die übrigen etwa 100.000 sollen in ihre Herkunftsregionen außerhalb des Nordostens Kambodschas zurückkehren. Schon die minutiöse Verifikation der 70 Zonen, die durch die Bilder von SPOT erfaßt wurden, ist ein enormes Unterfangen. Nun muß festgestellt werden, wo die besten Bedingungen für die Landwirtschaft (Bodenbeschaffenheit, Bewässerung) und für die Ansiedelung der Menschen (Nähe zu den Dörfern oder Ansiedlungen) zu finden sind.

In der von Minen verseuchten Region müssen diese Zonen zugleich bestimmte Sicherheitsgarantien bieten. Diese Voraussetzungen können nur durch direkte Beobachtung des Terrains und das Gespräch mit der lokalen Bevölkerung erreicht werden.

Zweitens müssen die kambodschanischen Behörden davon überzeugt werden, den Flüchtlingen zu erlauben, sich auf den Böden, die der UNHCR ausgewählt hat, niederzulassen. Die Landreform vom Mai 1989 sieht vor, daß diejenigen, die das Land in den letzten drei Jahren bearbeitet haben, Nutznießer des Landes sein können. Und das trifft für die Flüchtlinge natürlich nicht zu!

Schließlich müssen die Flüchtlinge selbst davon überzeugt werden, daß sie sich tatsächlich in den betroffenen Zonen ansiedeln. Das wird vermutlich die schwierigste Aufgabe und zugleich diejenige, bei der sich die Bilder von SPOT am nützlichsten erweisen. Die Konfrontation zwischen den Flüchtlingen und einer Spitzentechnologie droht anfänglich einige Probleme mit sich zu bringen. Doch nach den Erklärungen der Experten können diese Satellitenbilder als Garanten von Qualität und Machbarkeit wirken.

Diese letzte Phase ist lebenswichtig für den Erfolg des Projektes. Offensichtlich waren die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in den Lagern in vielen Fällen besser als die, die sie in den Städten Kambodschas vorfinden werden, von der Situation auf dem Lande ganz zu schweigen. Die Verlockung wird groß sein, sich direkt in die günstigsten Regionen – die schon stark bevölkerten Ebenen – zu begeben anstatt in die vorgesehenen und schwer zugänglichen Gebiete. Wenn die Mehrheit der Flüchtlinge die Vorschläge des UNHCR ablehnt, scheitert das Projekt insgesamt, und die bedeutenden Summen, die bereits ausgegeben wurden, wären in den Sand gesetzt.

Wenn das von den kambodschanischen Konfliktparteien erarbeitete Übereinkommen hält, könnte die Rückführung zum Beginn der Regenzeit im Mai 1992 beendet sein, danach wird es ausgesprochen schwierig werden. Doch die Erfahrungen und das Wissen, die in den letzten Monaten erworben wurden, werden über die Repatriierung im kommenden Jahr hinaus auch in Zukunft von Nutzen sein – vor allem für den UNHCR, da das, was in Kambodscha geschieht, morgen in Afrika, in Lateinamerika oder anderswo wiederholt werden könnte. Und für Kambodscha selbst, da der Reichtum, den die Satellitenbilder von SPOT darstellen, für die zukünftige Entwicklung des Landes genutzt werden kann, und, wenn notwendig, zur Erhaltung des Friedens.

Jean Chichizola ist Redakteur bei der Pariser Koordination von WORLD MEDIA.