DIE VERNETZTE GESELLSCHAFT
: Allzeit angeschlossen

Mehr speichern, schneller übertragen, mehr bearbeiten. Die Kommunikationstechnik überschlägt sich auf dem Weg ins nächste Jahrtausend. Mit einer einzigen Maschine lassen sich sowohl Zeitungen wie Rundfunksendungen als auch Fernsehbilder produzieren. Die Digitalisierung schafft eine universelle Sprache, doch werden nur die wenigsten Menschen in der Lage sein, sie zu senden und zu empfangen. So wie heute ganz Afrika weniger Telefonanschlüsse hat als Tokio.  ■ VON THIERRY VEDEL

Rasant werden sich die Kommunikationstechnologien in den nächsten zehn Jahren entwickeln. Speicher-, Bearbeitungs- und Übertragungskapazitäten von Informationen werden weiter ansteigen. Grundlage dafür ist die Verwendung optischer Übertragungs- und Speichermedien wie Glasfaserkabel und Videokassetten, immer höhere Frequenzen, Mikrowellen im Gigaherz-Bereich werden genutzt, und schließlich schreitet die Entwicklung von Kompressions- und Dekompressionsverfahren (Multiplex) zur Datenübertragung voran, die eine Mehrfachnutzung der Leitungen ermöglichen.

Chips werden immer billiger und kleiner. Schätzungsweise wird sich die Zahl der Bausteine eines Chips bis zum Jahrtausendwechsel alle 18 Monate verdoppeln. Bei konstanten Kosten und gleichbleibender Größe steigert sich so die Leistung der Computer mit schwindelerregender Geschwindigkeit. Die Anwendungen werden komplexer: immer leichter bedienbare Benutzeroberflächen, Simulationen, synthetische Bilder und künstliche Intelligenz scheinen eine Reproduktion des menschlichen Denkens zu ermöglichen. Dritte Tendenz: die Digitalisierung der Information. Als inhärenter Bestandteil der Informatik hat sie in den achtziger Jahren auf die Akustik übergegriffen – etwa die Digitalisierung von Telefonnetzen und CD-Disks – und nähert sich jetzt der Optik, beispielsweise im Bereich der digitalen Kameras und Fotoapparate. Bald werden auch Fernsehbilder konvertierbar. Gleichzeitig findet ein Übergang von der Elektronik zur Optik statt, die größere Kapazitäten und eine bessere Qualität bietet.

Integrierte Terminals im Haushalt

Die allgemeine Digitalisierung der Information hat eine doppelte Integration der Kommunikationprozesse zur Folge. Vertikal: innerhalb jeder Kette gibt es bei der Informationsbearbeitung keine Unterbrechungen, keinen Wechsel der Reproduktionsmittel mehr. So kann in fünfzehn Jahren etwa ein Fotograf das Bild eines digitalen Fotoapparates per Satellit auf eine Videokassette seiner Agentur in Paris schicken. Horizontal: Zukünftig kann ein und dieselbe Maschine benutzt werden, um Texte, Töne und Bilder herzustellen und zu bearbeiten. Was für das Produktionsstadium gilt, wird sich auch in der Rezeption durchsetzen: in den Haushalten wird es Terminals geben, in denen Telefon, Fotokopierer, Fax, Computer, Fernseher, Hifi-Radio und so weiter integriert sind. Diese neue Verbindung zwischen Trägern und Inhalten, zwischen Hardware und Software, hat die japanische Industrie bereits erkannt.

Die wichtigsten Umwälzungen finden im Bereich der Telekommunikation statt. Unternehmen haben in den letzten fünf Jahren damit begonnen, digitale Netze mit integriertem Service (ISDN) aufzubauen, mit denen man Stimmen, Daten oder Bilder übermitteln kann. Ursprünglich war ISDN als ein Meganetz geplant, das einen universellen Zugriff auf die Datengesellschaft bieten sollte. Diese Konzeption war auch eine strategische Reaktion der Post, die angesichts einer wachsenden Konkurrenz ihr Monopol für Datenübertragung schützen und festigen wollte. Nun entwickeln sich die Dinge anders. Es zeichnet sich ein Mosaik von Netzen ab, die neben- und übereinander liegen und miteinander verschachtelt sind. Unterschiedliche Träger übermitteln die Daten: Telefongesellschaften, Kabelfernsehen, Satellitenbetreiber, Teleports und andere.

Demokratie im Netz?

Manche Firmen kombinieren die Netze und schneiden sie speziell auf ihren Bedarf zurecht; dennoch können sie von ihrem System in ein öffentliches nahtlos überwechseln. Andere Unternehmen ergänzen die Übertragungsmöglichkeiten durch zusätzliche Leistungen, etwa besondere Sicherheitsvorkehrungen, die sie an Dritte verkaufen. Die Idealvorstellung von ISDN als einzigem und vielseitigem Netz löst sich also auf. Dennoch könnte diese Idee in anderer Form wieder auftauchen, zum Beispiel als audiovisuelles Netzwerksystem (Video Dial Tone). Ebenso wie man über ein Netzwerksystem (wie zum Beispiel BTX oder Minitel) von einem einzigen Punkt aus auf viele Dienste zugreifen kann, könnte ein audiovisuelles Netzwerk den Zugriff auf Dutzende von Bildquellen ermöglichen. Bedenkt man, daß die Bildproduktion durch Camcorder und Computer zur Bilderverwaltung gleichzeitig „demokratisiert“ wird, dann steht die Programmgestaltung selber vor dem Umsturz. Es geht dann nicht mehr darum, Programme zusammenzustellen, sondern die Zugriffsrechte auf Bilder zu verwalten. Eine weitere wichtige Veränderung in der Telekommunikation sind tragbare Telefone. Der Golfkrieg hat gezeigt, daß es für Journalisten nicht schwer war, an entlegenen Orten mit einem Sender und einer kleinen Parabolantenne Telefonverbindungen herzustellen. Bislang mußten die Menschen ihre Kommunikationsform an die Organisation des Netzes anpassen; in Zukunft wird das Netz den sich bewegenden Menschen „folgen“.

Wir erleben den Beginn einer Epoche, in der es unmöglich wird, nicht erreichbar, nicht angeschlossen zu sein, sich auch nur für einen Augenblick aus der Gesellschaft zurückzuziehen (beim Telefonieren auf keinen Fall das Leuchtsignal für einen neuen Anruf übersehen). Eine zugleich erfreuliche und erschreckende Perspektive, in deren Gefolge sicher diverse technische Glanzstücke entstehen werden, für die der Anrufbeantworter nur ein unbeholfener Vorläufer ist. Die allgemeine Verbreitung der Kommunikationstechnologie bringt viele Probleme mit sich. Eins der gegenwärtig am häufigsten diskutierten betrifft die Autorenrechte. Mit der Zunahme der Übertragungskanäle, besonders der Satelliten, und der allgemeinen Zunahme preiswerter Reproduktionsmittel wird es äußerst schwierig, die Benutzung von audiovisuellen oder von Computer-Programmen zu kontrollieren und damit die Erträge der Produzenten zu sichern. Sicherungscodes werden schnell geknackt. Überdies ist bei den modernen Kopiermöglichkeiten selbst die Integrität der audiovisuellen Werke fraglich. Die elektronische Kolorierung von Schwarzweißfilmen ist nur der allererste Anfang der Manipulationen, die man an Bildern vornehmen könnte. Durch Computer wird es möglich, Töne jeder Art von Musik zu zerlegen.

Bis zum Ende des Jahrhunderts wird jeder ein beeindruckendes Arsenal besitzen, mit dem er Daten empfangen, bearbeiten und übertragen kann. Wird es dann wirklich einfacher sein zu kommunizieren? Die Digitalisierung der Kommunikationsgeräte scheint eine universelle Sprache zu schaffen. Aber auch wenn sie dieselben Buchstaben, die Bits, benutzen, sind doch die Wörter und vor allem die Grammatiken, die Normen, nicht identisch. Die Geschichte der Kommunikationsgeräte kennt eine Unzahl von Beispielen für die Inkompatibilität von Anlagen für einen bestimmten Gebrauch. Die Welt der Benutzer war oft geteilt in PAL, SECAM und NTSC, in IBM und Macintosh, in VHS, Betamax und V 2000, in Teletel und Prestel. Schließlich hat jedesmal eine Mindestkompatibilität gesiegt, entweder durch die Durchsetzung eines Standards (Videogeräte) oder die Kommerzialisierung von Multistandard-Terminals (Fernsehen, Videotext) oder durch die mehr oder weniger erzwungene Annäherung der marktbeherrschenden Firmen (Computer).

Der Krieg um die Normen wird weitergehen

Die Hersteller bekriegen sich förmlich um die Normen. Während dieser Kampf bei der CD vermieden werden konnte, findet er beim Hifi-Fernsehgerät gerade statt, immer mit der Gefahr für einige Millionen Verbraucher, zu Opfern des technischen Fortschritts zu werden. Und schließlich, mit wem kommunizieren wir eigentlich? Von den etwa 4,5 Milliarden Bewohnern der Erde kann nur ein knappes Zehntel wirklich Daten und Informationen erzeugen und bearbeiten. Die Telekommunikationsnetze in Osteuropa und Lateinamerika sind unterentwickelt, die in Afrika stecken in den Anfängen. Durch Satelliten ließe sich die Lage mit geringen Kosten verbessern, aber die augenblickliche Dynamik in der Telekommunikation führt dazu, daß Großabnehmer bevorzugt werden. Der Verbreitungsgrad der Informationstechnik hängt eng mit dem Niveau der Wirtschaftsentwicklung zusammen. Nur Fernsehen und Radio, und in geringerem Maß auch Musikgeräte, erscheinen als universelle Medien. Durch die Satelliten werden Länder mit einer Flut neuer Bilder überhäuft, die bis jetzt nur ein oder zwei Fernsehsender hatten. Manchmal ist der Kulturschock sehr stark, wie zum Beispiel in den arabischen Ländern, wo der Aufschwung des islamischen Fundamentalismus mit dem Hedonismus der westlichen Gesellschaften konfrontiert wird.

Letzten Endes sind neun Zehntel der Weltbevölkerung das Opfer der intensiven elektronischen Produktion von etwa fünfzehn Industrieländern. Und diese Kluft wird noch größer werden, denn die Herstellung von und der Umgang mit Kommunikationstechnologie setzt ein immer höheres Bildungs- und Ausbildungsniveau voraus.