DIE VERNETZTE GESELLSCHAFT
: Künstliche Intelligenz, die Wissen schafft

■ Ein Wasserboiler, der mit dem Geschirrspüler ein Schwätzchen hält, während die Waschmaschine mit Besuchern plaudert? Donald Michie, einer der führenden Forscher über künstliche Intelligenz, sagt eine wissenschaftliche Revolution voraus, die uns zur Neubewertung unserer geistigen Fähigkeiten zwingen würde. Michie ist davon überzeugt, daß es bald Maschinen geben wird, die die Sprache beherrschen und ein Wissen haben können, das unseres erweitert. Robert N.Williams war bei DONALD MICHIE

Zu Beginn seiner Laufbahn war Donald Michie mit Alan Turing in Berührung gekommen, dem Gründungsvater der künstlichen Intelligenz, der während des Zweiten Weltkriegs daran arbeitete, feindliche Codes zu knacken. Turing dachte sich einen Test aus, der die Grundlage einer philosophischen Auseinandersetzung ist. Seine These: Wenn ein Computer so arbeitet, daß das Ergebnis für einen Experten nicht von der Leistung eines Menschen mit bestimmten geistigen Fähigkeiten zu unterscheiden ist, dann kann man sagen, daß das Programm diese Fähigkeiten besitzt. Die Diskussionen sind bisher eher theoretisch als praktisch gewesen. Obwohl Computer über eindrucksvolle Fertigkeiten verfügen, kann man sie aufgrund verschiedener Aspekte der menschlichen Intelligenz doch identifizieren. Die meisten heutigen Programme folgen einem deduktiven Schema und gehen vom Allgemeinen zum Besonderen. Der Haken dabei ist, daß alle Regeln erst ausgearbeitet werden müssen, bevor man sie in die Maschine eingibt, die sie interpretieren soll.

Aber für Michie, früher an der Universität von Edinburgh tätig, wo er eine der führenden Forschungsgruppen für künstliche Intelligenz gründete, liegt der Schlüssel für intelligente Maschinen in der induktiven Logik, die vom Besonderen zum Allgemeinen geht. Die Maschine soll Beispiele bekommen und die zugrundeliegenden Regeln, die den Vorgang bestimmen, selber herausarbeiten. Nur induktive Systeme sind lernfähig. Michie hat sein Fachwissen und seine Begeisterung in das Glasgower Turing Institute mitgenommen, das er vor sechs Jahren mit Jim Alty von der Universität von Strathclyde gegründet hat, um die Lücke zwischen Industrie und Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz zu schließen. Seine Gruppe gehört zu den Pionieren, die solche „intelligenten“ Systeme entwickeln.

Ein Vorbote künftiger Dinge ist ein „Agent“, den mehrere große Computerfirmen entwickelt haben: eine Comicfigur, mit der man sprechen und von der man Hilfe, Ratschläge und Informationen darüber bekommen kann, was im Betriebssystem geschieht. Sie soll in Kürze auf den Markt kommen. Michie glaubt, daß die philosophischen Fragen durch die allmähliche Verbesserung der Fertigkeiten des Agenten eher untergraben als beantwortet werden. „Wenn man den Agenten schließlich nicht mehr von einem hilfreichen Kollegen unterscheiden kann, dann werden wir kein Interesse mehr daran haben, darüber zu diskutieren, ob das Programm wirklich Bewußtsein hat oder nicht, ebenso wie mich die Frage nicht beschäftigt, ob meine graduierten Studenten wirklich Bewußtsein haben oder nicht“, sagt er. „Wir werden es einfach gut sein lassen und ein Arbeitsverhältnis auf der Grundlage eines höflichen Umgangstons haben.“

Andere Software-Entwicklungen entdecken verborgene Tiefen unserer eigenen Intelligenz und führen in eine bisher unbekannte Welt. Michie sagt, daß die Psychologen immer mehr Beweise dafür finden, daß die geistige Betätigung so etwas wie ein Eisberg ist, von dem man nur die Spitze bewußt wahrnehmen kann. „Der Rest ist zum größten Teil eine komplizierte Infrastruktur, von der wir fast nichts wissen, obwohl sie in unserem Kopf ist.“

Michies Gruppe hat im Laborversuch gezeigt, daß die im Gehirn verborgenen Strukturen, die das Verhalten von ausgebildeten Spezialisten bestimmen und zu denen sie keinen bewußten Zugang haben, jetzt aufgedeckt werden können. Der Versuch soll nun mit Piloten in Flugsimulatoren überprüft werden. Eine Maschine, die neue induktive Lerntechniken verwendet, kann Verhaltensprotokolle von Menschen lesen, die qualifizierte Tätigkeiten ausüben, und automatisch im Modell rekonstruieren, wie sie dies tun. „Das Verfahren macht also Prozesse und Fähigkeiten des Gehirns darstellbar, die vorher verborgen waren“, sagt Michie. „Das Resultat ist für den Praktiker höchst interessant, denn wenn er sie auf dem Bildschirm sieht, kann er sich auf die Modelle beziehen, die er offenbar selber benutzt, und dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, die Regeln auf das Gerät zu übertragen, das kontrolliert werden soll.“

Eine Schlüsselerkenntnis ist, daß das Modell im allgemeinen besser funktioniert als der Mensch, aus dem es abgeleitet wurde. Er meint, daß ein solches System den Weg zur Entwicklung von intelligenten, hochqualifizierten Systemen vorzeichnet. Maschinen können nicht nur Einblick in die verborgenen Bereiche der menschlichen Intelligenz geben, sie könnten auch Beiträge zum menschlichen Wissen leisten, die wir sonst nicht bekommen hätten.

Michie erwähnt als Beispiel ein Computerprogramm, in das kausales Denken integriert ist. Es kann das Herz und die als „multiple Arhythmien“ bezeichneten Krankheiten darstellen. „Es war in der Lage, eine korrekte und vollständige empirische Theorie darüber zu entwickeln, wie man ein EKG interpretiert; ganz sicher wird es in die nächste Generation von medizinischen Lehrbüchern aufgenommen.“

Er ist davon überzeugt, daß es in unserem Wissen große Lücken gibt, die nur mit Hilfe von Maschinen gefüllt werden können. „Dieses Beispiel zeigt, daß Software auf wissenschaftlicher Basis es möglich macht, neue Theorien zu entwickeln, die für Mensch und Maschine gleichermaßen verständlich sind, auf die man aber ohne Hilfe, nur durch menschliches Bemühen niemals gekommen wäre.“

Michie glaubt, daß die Revolution in der Software schließlich zu Robotern führen wird, die mit uns und miteinander sprechen werden. Es wurde schon früh klar, daß man zwei oder mehr Roboter brauchen würde, um alle möglichen Aufgaben zu erfüllen, aber die heutigen Versuche, Kommunikationssysteme zu entwickeln, die auf Computermodellen in Netzwerken basieren, sind viel zu kompliziert, wie er meint. „Man braucht kein praktizierender Gehirnchirurg zu sein, um Kommunikation zwischen zwei Menschen herzustellen. Eine ziemlich komplizierte Aufgabe, etwa ein Sofa die Treppe hinunterzutragen, erfordert nur eine ganz einfache Kommunikation wie ,ein bißchen höher', ,ein bißchen tiefer', ,etwas nach links'.

Die Menschen haben eine wahrnehmungsgesteuerte Intelligenz, und im Laboratorium können wir schon gutfunktionierende Roboter mit Sprachsynthesizer und Spracherkennung zeigen, die miteinander sprechen und zusammenarbeiten. Ein solcher Ansatz hat auch den Vorteil, daß der Supervisor reinhören könnte, wenn es eine Unterbrechung gibt, um die Ursache herauszufinden. Aber das ist den meisten Technikern zur Zeit ein Greuel.“

Michie ist davon überzeugt, daß Lösungen auf sprachlicher Basis sich schließlich doch durchsetzen und im nächsten Jahrhundert zu einer Revolution im Haushalt führen werden. „Waschmaschinen werden sprechen. Sie werden sagen, wann sie eine neue Ladung aufnehmen können oder daß die Wäsche noch nicht ganz trocken ist. Das Luxusmodell wird vielleicht auch Small talk beherrschen. Haushaltsroboter werden auch mit ihren Kollegen und anderen Haushaltsgeräten darüber reden, was sie machen und was als nächstes dran ist.“ Die Maschinen sollen in den Augen der Familie auch persönliche Züge annehmen, wie Katzen und Hunde, doch die zusätzliche Eigenschaft geistiger Durchschaubarkeit und zusammenhängender Kommunikation wird dem Leben eine neue Dimension geben. „Es wird eine häusliche Umgebung sein, in der Kinder so völlig anders aufwachsen, daß man es sich heute kaum vorstellen kann.“

Donald Michie

gründete an der Universität Edinburgh eine Forschungsgruppe für künstliche Intelligenz. Heute leitet er das 1985 von ihm mitgeschaffene Glasgower Turing Institute.