DER NEUE MENSCH
: Geklonte Welten und doppelte Höllen

Doubles können Feinde und Raketen täuschen, sie sichern die politischen Verhältnisse und verschleiern Herzkrankheiten. Meinungen werden vervielfältigt. Dem klonenden Menschen jedoch macht die Unvereinbarkeit von Samen und Ei zu schaffen. Krabben zeigen sich da beständiger, sie sind widerstandsfähiger als ein Feldmarschall.  ■ VON MIROSLAV HOLUB

Ich für meinen Teil habe ich nie davon geträumt, ein Double zu haben. Ich kann sogar sagen, ich würde es ablehnen, eins zu haben. Ich würde es hassen, daß sich all meine Fehler wiederholten, alle Fehler und die ich noch machen werde. Statt dessen habe ich immer davon geträumt, unsichtbar zu sein: Ein Mittel, Feinden zu entkommen, Verbrecher zu fangen, in das Notizbuch des Lehrers zu sehen, um die nächste Mathematikarbeit zu kennen, und vor allem zu sehen, was meine Freundin macht, wenn ich nicht da bin.

Ich hatte einen anderen Tagtraum, von dem ich fürchte, daß er gar nicht so irreal war und es auch nicht ist. Ich glaubte, daß die meisten wichtigen Politiker ein Team von Doubles haben müßten. Nicht nur um die Terroristen, den Feind oder die Rakete zu täuschen, sondern auch um politische Stabilität zu gewährleisten. Es hat keinen Sinn, daß ein simples verstopftes Herzkranzgefäß oder einfacher Altersschwachsinn das Schicksal des Staates, der Partei oder der Kampagne zur Einführung von Pinguinen in das Gebiet des Aralsees berühren sollte. Ich habe darüber spekuliert, daß man für den Fall einer überraschenden Krankheit oder des Todes, wenn das erste Double in der Reihe alle Gesten und das ganze Vokabular gelernt hat – was in den meisten Fällen nicht allzu schwierig sein dürfte – man mit einem zweiten gut ausgebildeten Double besser auskommt. Wenn der ursprüngliche Staatsmann überleben sollte, müßte er erschossen oder vielleicht auch als irgendwie untypischer Pinguin verkleidet werden. Wenn das erste Double verbraucht ist, könnte es abgelegt werden und das nächste würde auftreten, und so weiter, bis der Tod des vervielfältigten Staatsmannes akzeptabel oder nützlich ist.

In der Realität versuchten die Nazis und die kommunistischen Länder diese Verdoppelung herzustellen, wo die Meinung eines Idealbürgers mit der des anderen identisch war – und in der Kunst des sozialistischen Realismus sogar sein Gesichtsausdruck. Trotzdem können wir nun, nach dem Ende des kommunistischen psychopathologischen Experiments, menschliches Bewußtsein zu klonen, mit einem Anflug biologischer Befriedigung festhalten: Verdammt, es hat nicht funktioniert! Wir waren am Ende des Experiments sogar verschiedenartiger als am Anfang. Das Schaffen eines Doubles, mit anderen Worten das Klonen eines menschlichen Wesens, ja jedes Säugetiers gehört, so die biologische Realität, in das Reich der Science-fiction. In den 70er Jahren gab es Hoffnungen und Befürchtungen – genauer gesagt: Gerüchte –, daß man die gesamte genetische Struktur einer Zelle einem befruchteten Ei (Zygote) der jeweiligen Spezies einpflanzen könne, und nach der Inkubation des getäuschten Eis und seiner Übertragung in eine Pflegemutter hätte man eine exakte Kopie des Zellspenders. Mit mehreren Zellen und mehreren Zygoten bekäme man ein ganzes Geschlecht von Kopien, schöne, glitzernde und uniforme Klone des Spenders. Da der Spender ein erwachsener Organismus mit bekannten Qualitäten und Fertigkeiten sein könnte, hätte man eine rationale Wahl, was oder sogar wen man klonen würde. Die Experimente wurden und werden mit der Übertragung eines Samenzellkerns eines erwachsenen Spenders in eine Zygote bei Fröschen wiederholt.

Klon-resistente Organe

Niemand, außer in einem widerwärtigen journalistischen Streich, hat es je bei Menschen versucht. Säugetierzellen reagieren offensichtlich sensibler auf die Differenz zwischen Samenzelle und Ei, auf den exakten Zustand der Spenderzelle im Zellzyklus von Mitose zu Mitose, der nur schwer einzuschätzen ist, und auf eine Vielzahl anderer Faktoren. Dies ist eine allgemeine experimentelle und medizinische Schwierigkeit. Die wachsende Komplexität der inneren Organisation eines Körpers und die zunehmende Differenziertheit des Immun-, Drüsen- und Nervensystems bringen es mit sich, daß die Möglichkeiten zur Manipulation des Körpers und seine inhärenten Fähigkeiten, die Eingriffe zu vergessen, sich wieder zu sammeln und zu regenerieren, eingeengt werden.

Eine differenzierte innere Organisation, die Tatsache, daß Säugetiere, wir selbst eingeschlossen, nicht mit einem einfachen Tröpfeln der Musik des Lebens gefüllt sind, sondern mit einem Strom, einem Scherzo einer äußerst reichhaltig orchestrierten Symphonie, sagt nichts über die Aussichten unseres Überlebens auf diesem Planeten aus. Große Dosen von ionischer Strahlung etwa kann jede Krabbe besser überstehen als jeder Feldmarschall. Der Feldmarschall kann allenfalls mehr Informationen über Zeitpunkt und räumliche Wirkung des Ereignisses und auch mehr Fluchtmöglichkeiten haben. Der Regenwurm kann einen beträchtlichen Teil seines Körpers regenerieren. Wir können verletzte oder verlorene Organe nicht regenerieren, wir können allenfalls Transplantationen annehmen, und dies erst nach 3.000 Jahren trial and error der Medizin.

Es sagt nichts über unser Überleben, nur daß Individuen ihre Herzen, Bauchspeicheldrüsen, Nieren, Lungen und Leber überleben können. Hypothetisch könnten Klone von Menschen mit einer besonderen Widerstandskraft gegen vorherrschende Krankheiten ein längeres Überleben in einer bestimmten Situation garantieren. Aber in einer anderen Situation bekämen sie Schwierigkeiten, denn die Krankheiten und ihre Übertragungsmechanismen würden sich ändern, und niemand wäre dazu ausersehen, mit der neuen Situation fertigzuwerden. Wir müßten unverändert bleiben, sogar die äußeren Faktoren, die Viren und Mikroben, und für eine stabile Umgebung sorgen, und zwar von der Strahlung und Temperatur bis zum Säuregehalt des Wassers.

Wir müßten die Welt zum Stillstand bringen, um sie zu einem Paradies von Kopien zu machen. Angenommen, man will einen prominenten, außerordentlich erfolgreichen Diplomaten klonen. Man müßte ihn in die Hand bekommen und ihn dazu überreden. Man müßte sicher sein, daß man seine Umgebung rekonstruieren kann, vielleicht bis ins kleinste Detail. Also müßte man zuerst vielleicht seine Eltern klonen. Und, um konsequent zu sein, auch noch deren Eltern. Das heißt, mit dem Diplomaten wird es nichts, da man zu der Zeit, als er als potentieller gesellschaftlicher Schatz erkennbar wurde, keine Zellen von ihnen bekommen kann. Aber das ist nur der Anfang. In Wirklichkeit hat die ganze Familie Einfluß darauf, was aus einem Individuum schließlich wird. Man muß die Familie klonen. Aber jedes Familienmitglied ist bereits determiniert – durch die Umwelt, durch Schulkameraden, Bekannte, Geliebte, Feinde, Partner in der Fahrgemeinschaft. Aber: Jede der äußeren Kontaktpersonen hat wiederum eine eigene Familie, eigene Außenkontakte. Man muß sie alle klonen. Man muß die Welt klonen, nicht mehr und nicht weniger ... Das würde bedeuten, die heutige Welt um eine Welt zu verdoppeln, die sich unmittelbar daraus ergibt, und das bedeutet, keine neuen, natürlich, spontan, willkürlich, zufällig entstandenen Kinder ... Es wäre dieselbe Welt wie die von heute, bis zum Überfluß vollgestopft mit Duplikaten der Menschen von heute – und denselben, verdoppelten Problemen –, die es wahrscheinlich übelnehmen, daß sie alles noch einmal durchmachen müssen. „Ich habe mich gefragt“, schließt Lewis Thomas, „wie es wohl in der Hölle sein könnte, und habe versucht, mir eine Art von ewiger Verdammnis vorzustellen. Ich muß gestehen, daß ich mir nie etwas so schlimmes wie dies vorgestellt habe.“ Die Geschichte von der Herstellung unserer Doubles ist also nicht besonders optimistisch, nicht aus biologischer Sicht, nicht aus psychologischer oder soziologischer Sicht, von den Staatsmännern ganz zu schweigen. Die Natur hat natürlich Doubles herzustellen versucht.

Bei Karotten funktioniert es

Das ist bei Pflanzen erfolgreich, die sich durch Ausläufer und Knospen vermehren, die wir durch Aufpfropfen und Ableger vermehren, und sogar durch Gewebekulturen, durch die man eine ganz neue, aber identische Karotte aus einer einzigen Zelle der alten Karotte gewinnen kann. Gnidarische Polypen vermehren sich asexuell durch Ableger und durch die Bildung von Kolonien, wenn sie miteinander verbunden werden, wie die mythologischen Geryonen (deren Prototyp der stärkste Mensch der Welt mit drei Köpfen und sechs Armen war), oder durch Klone: sie sind genetisch identisch, erwerben aber ganz unterschiedliche Funktionen und werden manchmal zu einfachen Organen in Einheiten, die als Siphonophore bezeichnet werden – ein erbärmliches Schicksal für ein Individuum. Vielleicht sind Doubles besser dran als nicht-individuierte Einheiten, was auf der Ebene der Zellen sogar in unseren Körpern die Regel ist. Die Verbreitung von identischen Zellen durch klonen ist die Grundlage unserer Immunabwehr. Weniger typisch sind bestimmte Blattlausmütter, die ihre eigenen Kopien produzieren, indem sie unbefruchtete Eier legen, die sich trotzdem fröhlich entwickeln, wie das auch bestimmte Rotiferien – „Rädertiere“ – und Ameisen tun. Damit die Blattläuse weiterbestehen können, muß auf die Generation von Doubles eine sexuell erzeugte Generation folgen. Dabei gibt es ein paar Ausnahmen, wie die Europäische Apfelblattlaus, die ihr Wirtstier verliert, weil das Double aufgegeben wird, wenn das Leben zur inneren Komplexität und Verfeinerung übergeht. Doubles und Klone können nur als untergeordnete Einheiten niedrigerer Art fungieren, nicht als wirkliche Individuen. Auf menschlicher Ebene dürften eigentlich nur schlichte Gemüter davon träumen, sich zu verdoppeln. Oder ein paar Erfolglose, die auf eine Verbesserung ihrer Missetaten im nächsten Leben hoffen. Aber es gibt kein nächstes Leben, das ein genaues Abbild des ersten ist.

Miroslav Holub leitete die Abteilung Immunologie am Medizinischen Institut in Prag. Heute veröffentlicht er Poesie und Essays: