Sielwall-Silvester nur „Wärme, Liebe und Glück“

■ Entgegen allen Erwartungen knallten in der Silvester-Nacht auf der Randale-Kreuzung diesmal nur die Sektkorken

Diesmal flogen nur die Feuerwerks-Funken über die Sielwall-KreuzungFoto: Falk Heller

„Denen ist ein Geschäft entgangen“, sagt Günter Kahrs, Mitorganisator feucht-fröhlicher Silvester-Feiern auf dem Sielwall- Kreuz. „Die“, das sind die Journalisten. Der Hörfunk von Radio Bremen hatte sich im zweiten Stock direkt über der Kreuzung bei „Überschall“ als Sonderstudio eingerichtet, überregional hatten Rundfunk-Anstalten vorsorglich Randale-Beiträge geordert. Ein Fernseh-Team streifte, abgesichert von einer Trupp SEK-Beamter, suchend durch die Feiernden über die Kreuzung — keine Scheibe klirrte, keine Plünderungen, keine Randale, Einsatz umsonst. Eben nur Neujahrs- Feier. In einem Haus lief im Fenster des ersten Stockes non-stop die Neujahrs-Ansprache unseres Kanzlers und machte Kabarettisten arbeitslos, aus einem anderen Fenster tönten beruhigende

hier bitte das Foto

mit dem Feuerwerk

auf der Straße

Klassik-Harmonien...

Die Polizei war offenbar selbst überrascht. Mit gut 100 Mann Bundesgrenzschutz und ebenso vielen Bremer Kräften hatte sie sich deutlich sichtbar und demonstrativ in nur 100 Meter Abstand von der Kreuzung, an der es seit 1986 regelämßig Neujahrs-Randale gab, in Szene gesetzt. SEK stand in den einschlägig bekannten Fahrzeugen herum und beobachtete die Feiernden, Zivil-Beamte hatten sich unter die Menge gemischt und fielen durch ihre Abstinenz dem reichlich fließenden Alkohol gegenüber auf. Nur einmal mußten zwei Beamte am mutmaßlichen Tatort in Aktion treten, als Feiernde ein Feuerchen auf der Kreuzung machen wollten. Freundliche Worte stellten die Ordnung wieder her.

Zu roher Gewalt kam es dafür einige Meter hoch über der be

rüchtigten Kreuzung, wo im Hause Ostertorsteinweg 1 bei der Mode-Designerin Sybilla Pavenstedt reichlich betuchtes Yuppi- Publikum zur Feier geladen war. Nasenblut und Einiges mehr soll auch im „Stone“ geflossen sein, wo gemischtes Publikum sich zu treffen pflegt und in der Neujahrsnacht gegen 4 Uhr die Ordner bewiesen, wer der Herr im Hause ist.

„Ampel-Innensenator schon beim ersten Einsatz blamiert“

Noch vor Weihnachten hatte der frischgebackene und mit Lampenfieber den ersten Ernstfall erwartentende Innensenator Friedrich van Nispen (FDP) Appelle an die Friedfertigkeit verbreitet und bekannt gegeben, daß er seinen Urlaub zur Jahreswende unterbrechen würde, um vor Ort beim ersten Einsatz unter seiner Ver

antwortung mitzufiebern. Sein Parteibezirk Mitte-West hatte die Debatte durch die Erklärung angereichert, es solle „frühzeitig kraftvoll“ entgegengewirkt werden und zwar — im Original unterstrichen — „mit rechtsstaatlichen Mitteln“ — als ob der Kreisverband seinem Senator vor dem Einsatz nicht rechtsstaatlicher Mittel meinte warnen zu müssen. „Unterstreichen wollte ich das nicht“, räumte FDP-Mann Dr. Bringmann gestern gegenüber der taz erläuternd ein.

Die Polizei hatte vorsorglich Geschäftsinhaber der Sielwall- Kreuzung angerufen und ihnen geraten, die Schaufensterscheiben mit Holzplatten zu verstärken. Die meisten Läden waren aber in der Nacht nicht derart gewappnet, die Räume von Penny, früher Lieferant von Billig-Sekt, stehen seit Monaten leer.

Die politische Szene, die in vergangenen Jahren im Vorfeld der Silvester-Feier auf Flugblättern mit RAF-Stern und „Sekt für die Massen“-Aufrufen für Stimmung gesorgt hatte, mal mit gesammelten Steinen schon die Munition in Einkaufs-Wagen parat hatte und mal (nach Ostberliner Vorbild) die Straßenschilder zur Verwirrung ortsunkundiger Polizeikräfte schwarz übersprühte, war diesmal ganz auf „Wärme, Liebe und Glück“ aus gewesen. Schon vor dem Silvester-Abend hatten Ladenbesitzer Besuch bekommen, der beschwichtigend Frieden versprach.

Die Kassandra-Reden der Polizei könnten von solchen, die gern „Räuber und Polizei“ spielen, als Provokation verstanden werden, warnten das „FKK“ (Freies Komitee Kontinuität) und betroffene Eltern aus dem Viertel, und setzten dagegen: „Verlernen wir, anderen weh zu tun“. Da es keinerlei Vorbereitungen für eine militante Feier gegeben habe, seien sowohl die aufgeregten Erklärungen der Politiker wie auch die massive Polizeipräsenz eine „Blamage der Ampel-Politiker“ gewesen, findet Günter Kahrs.

Allerdings war diesmal auch die Beteiligung an der Straßen- Feier recht mager gewesen. Im nächsten Jahr sollen Kultur und Musik wieder mehr Publikum anlocken. K.W.