Sensible Stadtmöblierer greifen an

■ Was andere dichten: Ein Werbeprospekt, bei dem der Mensch ganz entschieden im Mittelpunkt steht!

Politik mit Herz ist für alle ein echtes Bedürfnis«? Solche Sätze sagt oder schreibt nicht einmal Björn Engholm. Parodie also? In großen, nachtblauen Blockbuchstaben auf weißem Hochglanz-Karton, noch dazu mit einem festgeklebten echten Fünfzigpfennigstück im Inneren des zweiten Buchstaben von »Politik«? Keine Parodie demnach? Dann Geschäft. Ein Drittes gibt es nicht bei Blödheiten dieser Güteklasse.

Der Mensch

Gleich der erste Satz unter der Schlagzeile des Prospekts ist mein allerliebster: Bei der Entwicklung kompletter Stadtmöblierungskonzepte steht der Mensch für uns im Mittelpunkt. Was für eine Kostbarkeit! Ein Satz wie aus Aspik gehauen! Stadtmöblierung — die City als Stube sozusagen, mit dem Menschen im Mittelpunkt! Aber was wären dann wohl die Möbel, bitte, in dieser urgemütlichen Stadt?

Zum Vorteil des Menschen gestalten wir die öffentlichen Räume individuell und funktionell. Ah ja. Der öffentliche Raum also, parzelliert in kleine Räume, und die sogar individuell gestaltet — jedem sein ureigenes Räumchen, keines wie das andere! Aber die Möbel! Ich versteh' das mit den Möbeln nicht! Und was bedeutet das 50-Pfennig-Stück? Weil wir dabei stadtbildorientiert vorgehen und die architektonischen Zielsetzungen der Stadtplaner berücksichtigen, profitieren davon auch die Städte. Nein! Nicht! Ich will jetzt endlich die Möbel! Die Möbel! Wer kann so viele ausgesucht elegante Sätze lesen, dabei so viel Spannung ertragen, bis es endlich ans Thema geht!

Sensible Stadtmöblierer

Da, jetzt aber: So gesehen können Sie sicher verstehen, wenn uns »sensible Stadtmöblierer« ein Mißstand immer wieder gestört hat: der katastrophale Zustand der öffentlichen sanitären Anlagen! Ei gewiß können wir das verstehen, liebe sensible Stadtmöblierer — liegen uns doch Sensiblichkeit und Möblemang ungefähr gleichermaßen am Herzen! Nur: Ist das mit den sanitären Anlagen nun mehr allgemeine Feingeisterei — »hier drückt uns der Schuh« bzw. in diesem Fall die Hose — oder, kostbare Sensible, seid Ihr am Ende ganz ordinäre Scheißhaus-Verhökerer, die sich aus Daffke oder vermeintlicher Gerissenheit einen Großschwadroneur aus dem sensiblen Genre als PR-Chef halten? Genau. Das ist es. Das seid Ihr!

Und Euer Werbeprospekt — Din-A-3, betitelt Für Alle — Höchste Zeit — schlägt wahrlich die Aprilfrische, den gesamten Schokoriegel-Irrsinn inklusive des kryptisch crisp genannten Zustandes und die Knorr-Familie um Längen; ja, dieses Wunderwerk des PR-Berserkertums kann sich womöglich sogar mit den unsterblichen Hardenbergs und ihren gefürchteten Denise-Törtchen messen, stellt, kurz gesagt, die gewaltigste Kacke dar, den wildesten Amoklauf eines Schwachgeistes, den das an Blödsinn so überreiche Werbewesen bisher hervorgebracht hat.

Drogen?

Wall-City-Toilette heißt das Produkt; und der Werbetexter kann den Prospekt für das Ding wahrscheinlich, bei aller brausenden Blödheit, nicht nüchtern geschrieben haben. Als ihm seine Auftraggeber dieses Resultat einer langen und lustigen Nacht tatsächlich abgenommen und bezahlt haben, wird er aus Fassungslosigkeit gleich nochmals zur Droge gegriffen haben. Jeder Quatsch findet sein Publikum.

Hygienisch und sicherheitstechnisch ausgereift ist das Scheißhaus — solche Formulierungen gehen wohl in unserer schnellebigen Zeit als unauffällig durch; obwohl sie, genaugenommen, auch nicht unsinnsfrei sind. Von den unappetitlichen Konnotationen ausgereifter Scheißhäuser mal ganz zu schweigen. Im nächsten Satz schon arbeitet der Autor wieder auf eine großkalibrige Entgleisung hin: Das System, heißt es da, bestand den GS- und TÜV-Test mit Bravour. Man stellt sich unwillkürlich vor, wie die vollautomatische Pullerbude am Tag des GS- und TÜV-Examens besonders heftig, konzentriert und ehrgeizig leuchtet, lüftet, musiziert und Desinfektorheiten begeht — denn all das kann unser Freund Wall. Man hört förmlich den Applaus, die »Hoch!«- Rufe der Prüfbeamten, die Glückwünsche, die Dankesrede des Klos (»Was soll ich viel sagen — ich bin kein Redner!«) — Alles das sind so erfüllende, so anrührende Vorstellungen, daß man sogar gänzlich die Frage vergißt, was den wohl ein GS-Test sein mag.

Eldorado für Entleerer

Für unbedingt Entleerungswillige ist Wall wirklich ein verläßlicher Freund von gutmütig-simplem Wesen: Fünfzigpfennigstück rein (in meinem Exemplar des Prospekts ist es noch heute eingeklebt); die Tür öffnet sich automatisch, Licht, Aircondition und Musik legen gleichzeitig los, dann 15 Minuten Zeit, in denen alles ganz naturgemäß sein mag — bei Totalverstopfung ist übrigens keine Rückerstattung der Gebühr vorgesehen. Nach Ablauf dieser Zeit öffnet sich die Tür vollautomatisch — ganz gleich, was sich drinnen gerade abspielt (siehe dazu Kasten auf dieser Seite). Für sexuelle Verrichtungen jeglicher Art und Größe ist unser Wall also eher nicht zu empfehlen — aber welches Klo wäre das schon, genau und genierlich betrachtet? Hat der Benutzer die Toilette verlassen, leuchtet das Besetzt-Zeichen 45 Sekunden weiter: In dieser Zeit reinigt und desinfiziert sich die Wall-City-Toilette vollautomatisch und ist wieder betriebsbereit.

Und? War's das? Keine Sonderausführungen von Wall, kein Modell »Mediterran« (ohne Dach) oder »Sportiv« (wahlweise mit Airbag oder Windstärke 12 in Computer-Simulation; immer ohne Haltegriffe)? Nein, das nicht. Und ein integrierter Masturbator, wie ihn die Dödel-Duse Beate Uhse einst in ihren Peep-Shows plante, ist auch nicht vorgesehen. Aber immerhin: Standortvarianten (z.B. für Messe- und Flughafengebäude) und angegliederte Funktionsmodule (Telefonzelle/Fahrkartenautomat/Stadtinformation) sind ebenfalls einsatzbereit. Essen und Trinken würde man da noch gern sehen — und sei's nur ein Erdnußautomat. Erstaunlich übrigens, mal ganz im Ernst, daß die Wall-Genies bei ihrem ganzen »Mensch-im-Mittelpunkt«- Getöse offenbar nicht den geringsten Gedanken an Kondome verschwendet haben.

Wirklichkeit

Was wir links (siehe Fotos) an zwei Berliner Standplätzen noch als Montage sehen, ist schon in Kürze bürgerfreundliche Wirklichkeit, geht unser Autor auf der letzten Seite seines Traktats dann doch zu brutalen Drohungen über. Da wird es dann sicher noch viele schöne Ausführungen unseres Wall geben, mehrfarbig, mit Olympiaringen drauf oder Walter Mompers Körperbau nachempfunden — und was dergleichen sensible Stadtmöblierungsideen sonst noch sein mögen.

Es läge auch nahe, die Stadt dem Scheißhaus anzugleichen und nicht umgekehrt. Aber das geschieht wahrscheinlich schon lange, ohne daß irgend jemand bisher diesen geheimen Sinn hinter den Taten unserer Stadtplaner entdeckt hätte. Übrigens wird bei den Scheißhaus-Leuten immer in ganzheitlichen Produktfamilien gedacht. Und das spätestens wäre der Beweis, daß Wall für alle, wirklich alle da ist (wenn es eines solchen Beweises überhaupt noch bedürfte). Denn stammen wir nicht alle letztendlich aus ganzheitlichen Produktfamilien? Klaus Nothnagel