Podest mit Hundesarg

Das Tierbestattungswesen in Geschichte und Gegenwart  ■ Von Burkhard von Schassen

Tote Hunde fallen nicht vom Himmel. Und wir müssen erst noch bekannter werden.“ So lautet das Geschäftscredo der Zwillingsbrüder Terzenbach. In Hamburg- Wandsbek betreiben sie die erste fahrbare Hundekapelle Europas.

Die aus einem Werbespot mit Rudi Carrell bekannten Terzenbach- Zwillinge kamen aus persönlicher Betroffenheit zu ihrem Beerdigungsservice. Zwei Jahre liegt es zurück, daß eine Dogge ihren Rottweiler Lothar totbiß. „Damals standen wir mit unserer Trauer allein am Grab“, erinnern sie sich heute. Mit gedämpfter Stimme erzählt Hartmut Terzenbach von der Dünnhäutigkeit der Menschen: Sie wollen ihre Tiere nicht mehr in den Müll werfen oder zum Kadaverkeller schicken. Für immer mehr Menschen bedeutet wahre Tierliebe Verbundenheit bis über den Tod hinaus: Sie wollen ihre Tiere beerdigen.

Doch nur in Hamburg können die umtrauerten Vierbeiner mit einem Leichenwagen ins Paradies fahren. In einem umgebauten Wohnmobil vollziehen die Terzenbachs ihre sakralen Handlungen. Bei ihrer Trauerbegleitung geht es ihnen um den Seelenfrieden der Menschen. Frauchen und Herrchen sollen durch ihre Seelsorge über den Verlust des geliebten Tieres hinweggetröstet werden.

„Sigward ist der Fahrer und ich der Pfarrer. Auf der Fahrt zur Beerdigung spreche ich sozusagen als Stimme des Hundes.“

Vorab informiert sich Hartmut in einem Trauergespräch über den Lebensweg des Hundes, den er in seiner rollenden Kapelle mit pastoralen Worten Revue passieren läßt. Mit dem Bild des Hundes vor sich erzählt er, wie der Liebling in die Familie kam, wie es ihm dort erging; er berichtet von den Kinderkrankheiten des Hundes und schließlich auch von seinem Tod.

Die Köhlersche Symphonie für Hunde oder ein Panflötenkonzert ertönt, während sich Hartmut im Namen des Verstorbenen für die Liebe der Hinterbliebenen bedankt. Frauchen und Herrchen, die für diesen individuellen Service 175DM gezahlt haben, sitzen derweil hinten im samtausgeschlagenen Trauermobil. Neben ihnen steht ein Podest mit dem Hundesarg. Eingerahmt von einem Bild des geliebten Tieres, Blumengestecken und einem bestickten Kissen: „Daß mir der Hund das Liebste ist, sagst du — oh Mensch —, sei Sünde. Der Hund bleibt mir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde.“

Überführt werden die Tiere zum Friedhof Timmaspe bei Neumünster. Dort finden die Kläffer nach einer kurzen Ansprache ihre letzte Ruhe in den ewigen Jagdgründen. Die Grabrede hält Walter Lorentsen, der Initiator des Kleintierfriedhofs. „Jeder Hund stirbt anders“, verkündet Lorentsen in seinem Buch Der Hundepriester erzählt. Der evangelischen Kirche wirft Lorentsen vor, daß sie vor dieser wichtigen Aufgabe kneift. „Die katholische Konkurrenz ist da viel geschickter. Im Ruhrpott werden zu Fronleichnam Autos geweiht, in Spanien sogar Hunde gesegnet: Das bringt Sympathien.“

Der Bestattungsspezialist für Schoßtiere würde auf seinem Friedhof gern einen Pastor sehen, der ein paar Trostworte spricht. Derartige Bedürfnisse selbsternannter Prediger treffen bei den Evangelen auf Unverständnis. Der protestantische Theologieprofessor Helmut Thielicke sieht in der Hoffnung, „seinem Dackel in der Ewigkeit zu begegnen, nur eine sentimentale Gedankenspielerei“.

Der katholische Theologe Eugen Drewermann dagegen sieht in der Tierliebe nicht nur Projektionen menschlicher Sehnsüchte und Ängste, sondern fordert gar, die Tiere so zu behandeln, „als wären sie unsterblich. Als hätten sie eine menschliche Seele.“ Er sieht den Menschen sowohl ethisch dazu aufgefordert, weil er in nächster Verwandtschaft zum Tier lebt, als auch geistig fähig, da wir noch das Erbe des Reptiliengehirns in uns tragen.

Vorstellungen, daß auch das Tier eine Seele hat, die es aushauchen kann, finden sich schon in der Antike. Im ägyptischen Tierkult wurden die animalischen Leichname mumifiziert und als Osirisse, als Götter, beigesetzt. Zur Grablegung verwandte man den Tiergestalten nachgebildete Särge. Die Ägypter symbolisierten so den gemeinsamen Ursprung von Mensch und Tier. Das Bestattungsritual entwickelte sich auch aus dem Glauben, daß hinter den Tiergestalten göttliche Mächte verborgen sind.

Ähnlich sieht das ewige Lebensrad des Buddhismus eine Wiedergeburt der Tiere vor: Sie können als höhere Lebewesen auf die Welt zurückkehren. Gleichsam können Menschen nach buddhistischer Philosophie als Tiere wiedergeboren werden. Abendländische Künstler entnahmen der Tierwelt gern ihre Unsterblichkeitsmetaphern: wie ein aus der Puppe schlüpfender Schmetterling.

Für C.G. Jung erfüllt das Tier den Willen Gottes gar besser als der Mensch. Als „reine Natur ist das Tier weder gut noch böse“. Nur der Mensch ist letztlich fähig, das Tierwesen in ihm zu beherrschen. „Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere“, resümierte Friedrich der Große und verfügte testamentarisch, neben seinem Hund in Sanssouci begraben zu werden. Die Umbettung soll in diesem Jahr unter den Augen von Bundeskanzler und Bundespräsident vollzogen werden.

Historische Vorbilder für Tierfriedhöfe gibt es einige. Nicht nur die Tiere der britischen Königinnen wurden stets auf einem geweihten Leichenacker beigesetzt. In Edinburgh Castle befindet sich ein 400 Jahre alter Friedhof für Soldatenhunde. Der Cemetery for soldiers pet dogs ist Hunden vorbehalten, die bei Kriegshandlungen gefallen sind.

Der Eigner des deutschen Tierfriedhofs in Norderstedt ließ sich bei einem Besuch des berühmten Cimetière des chiens in Paris inspirieren. Dort werden auf einer Seine-Halbinsel am Pont de Clichy seit über hundert Jahren Hunde und Katzen begraben. Seelengrößen wie der Bernhardiner Barry, dem viele Menschen ihr Leben verdanken, und der Filmhund Rin-Tin-Tin wurden hier in die Ewigkeit entlassen. „Ist die Tierkörperbeseitigungsanstalt eine würdige Ruhestätte für einen treuen Freund?“ fragt Uwe-Arthur Timm, der Betreiber der Norderstedter Parkanlage. Er will den Tierhaltern mit „bewußt niedrig gehaltenen Preisen“ — ein Einzelgrab für drei Jahre kostet 370DM — die Gelegenheit geben, sich von ihren langjährigen Begleitern in Würde zu trennen und sie dennoch immer wieder aufsuchen zu können.

Wie manche Gottesäcker für Menschen gleichzeitig Bedürfnisstätten für Hunde und Stundenhotels für Katzen sind, ist der Berliner Tierfriedhof in Lankwitz vor allem ein Treffpunkt für die hinterbliebenen Tierfreunde. Gesäumt von Bäumen und durchbrochen von schmalen Wegen, stehen dichtgedrängt die Marmorsteine als Erinnerung an die verstorbenen Kleintiere. Inmitten des Platzes thront ein Hundedenkmal als Ehrung für alle Wächter mit der kalten Schnauze. Eine Frau, die dort mit ihrem Sohn den Gedenkstein ihrer geliebten Katze dekorierte, bezeichnete die tierische Grablegung als Selbstverständlichkeit. „Unser Liebling hat das verdient. Wenn man schon kein Fleisch mehr kaufen kann, dann wenigstens ein paar Blumen.“

Während sie das sagt, befestigt ihr Sohn ein Foto am Grabstein. Dann entzündet er noch ein ewiges Licht und stellt es in den dafür vorgesehenen Glaskasten.

Jeden Samstag begleitet er seine Mutter zum Grab. Für den etwa Zwanzigjährigen in seiner Lederkluft, langen graumelierten Haaren und Kruzifix-T-Shirt gehören die Tiere zur Familie. „Auch die Kosten sind nicht zu hoch“, findet er. „Nur 15DM im Monat. Das ist immer noch billiger als eine Monatskarte bei der BVG.“

Seine Mutter hat sich vor Jahren mit dem Pächter des Nachbargrabes angefreundet. Sein Kater sei ihm immer ohne Leine auf der Straße gefolgt. Sie hat den alten Mann längere Zeit nicht gesehen, deshalb versorgt sie das Grab jetzt mit. „Unsere Belinda ist ja damals an Nierenversagen gestorben. Obwohl das Herz noch ganz in Ordnung war. Ich hätte ja alles gegeben; aber da war nichts mehr zu machen. Manche werfen ihre Tiere dann ja einfach in den Müll, aber das konnte ich nicht. Wenn es den Friedhof nicht gäbe, hätte ich Belinda nachts irgendwo begraben. Einige kommen schon 30 Jahre hierher. Ich hoffe nur, daß mein Sohn das einmal fortführt.“ Zu uns gesellte sich eine alte Frau, die schon seit Jahren täglich zur Tier-Nekropolis kommt. Sie pflegt das Grab ihrer toten Susi. Selbst im Winter ist sie immer da. „Um die Vögel zu füttern. Sonst ist hier dann ja niemand.“

Wie nützlich auch in Berlin ein Leichenwagen für die Überführung der entschlafenen Tiere zum Friedhof wäre, zeigt die tragikomische Geschichte eines Berliners, der seinen zweiten Hund auch in Lankwitz beisetzen wollte. Für den Transport zum Kleintieracker hatte er seinen toten Arthur in einen leeren Karton für Videorecorder gebettet. Auf seinem Weg zur nächsten U-Bahn-Station kommt er an einem Aldi-Lebensmittelgeschäft vorbei, vor dem eine lange Schlange wartender Polen steht.

Einer aus der Warteschlange spricht ihn an, mit der Bitte, für ihn Kaffee aus dem Geschäft zu holen, weil er die Befürchtung habe, daß sie nur noch wenige Polen hineinlassen werden. Der Berliner erklärt sich bereit, in den Laden zu gehen, woraufhin ihm der Pole das Geld für den Kaffee gibt. Den Karton mit dem kleinen Arthur läßt er währenddessen vor der Tür.

Als er aus dem Geschäft zurückkommt, ist sein Hund samt Pole verschwunden. Von dem Glücksgefühl beseelt, günstig an einen Videorecorder gekommen zu sein, hatte er die Gelegenheit genutzt. „Ich hoffe nur, daß der Pole soviel Anstand besaß und meinen Arthur nicht schon auf der Transitstrecke irgendwo einfach aus dem Fenster geworfen hat.“