Wladimir Mironow: Drei Jahre Haft für Analverkehr

Amnesty international erarbeitet Richtlinien für die Betreuung lesbischer und schwuler Gefangener  ■ Von Dorothee Winden

Berlin (taz) — Der größte Erfolg für die Internationale Lesben- und Schwulenvereinigung (ILGA) war im vergangenen Jahr, daß die internationale Gefangenenhilfsorganisation amnesty international (ai) künftig auch lesbische und schwule Gefangene betreuen wird, die ausschließlich wegen ihrer sexuellen Orientierung im Gefängnis sitzen. Die Resolution, die Anfang September 1990 auf der ai-Ratstagung in Yokohama verabschiedet wurde, sieht vor, daß amnesty sich für Lesben und Schwule einsetzen wird, die wegen „einvernehmlichem Geschlechtsverkehr zwischen Erwachsenen im Privatbereich“ verfolgt wurden.

Eine der Veranstaltungen der ILGA-Konferenz beschäftigte sich mit der Frage, wie die Arbeit für lesbische und schwule Gefangene nach dem Beschluß von Yokohama weitergeht. Nach Angaben von Bill Schiller, dem Koordinator des ai-Projektes der ILGA, arbeitet das Internationale ai-Sekretariat in London noch an den Richtlinien für die Umsetzung des Beschlusses von Yokohama. Bereits im Dezember vergangenen Jahres hat amnesty den Fall von Wladimir Mironow bekanntgemacht. Der 43jährige wurde am 11. Oktober 1990 verhaftet und wegen Artikel 121 des russischen Strafgesetzbuches angeklagt, der einvernehmlichen Analverkehr zwischen Männern mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Mironow wurde im Mai vom Volksgericht des Wolgograder Distriktes in Moskau zu drei Jahren Haft verurteilt, obwohl er und ein weiterer Zeuge ihre Aussagen während des Prozesses mit der Begründung zurückzogen hatten, sie seien während der Verhöre durch Nötigung zustande gekommen. Das Moskauer Stadtgericht hat eine erneute Untersuchung des Falles angeordnet. Gegenwärtig sitzt Wladimir Mironow in einem Moskauer Untersuchungsgefängnis. Die Moskauer Lesben- und Schwulenorganisation ARGO hat amnesty eine Liste mit Namen von weiteren schwulen Gefangenen überreicht. Die Informationen der ILGA-Gruppen vor Ort sind deshalb entscheidend, weil Fälle von Verurteilungen oder Verhaftungen aufgrund der sexuellen Orientierung selten publik werden. Ein weiteres Hindernis für die Arbeit von amnesty ist, daß Gefangene, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung inhaftiert sind, häufig nicht möchten, daß ihr Name öffentlich genannt wird. Michael Weltmann vom ai-Projekt der ILGA, berichtete von zwei homosexuellen Iranern, die das Land verlassen hatten, ihre Verfolgung aber nicht öffentlich machen wollten, da sie um die Sicherheit ihrer Familien in Iran fürchteten. Noch schwieriger sei es, an Informationen über lesbische Gefangene zu kommen, da sie oft noch „unsichtbarer“ seien als die Schwulen, so Weltmann. Lesben werden zwar nur in wenigen Ländern wegen ihrer sexuellen Orientierung strafrechtlich verfolgt, oft drohen ihnen aber andere Sanktionen. So werden lesbische Frauen in der ehemaligen Sowjetunion häufig in die Psychiatrie eingewiesen, um sie von dieser „Krankheit“ zu „heilen“.

19 Jahre lang haben Lesben- und Schwulengruppen darum gekämpft, daß ai auch verfolgte Homosexuelle vertritt. Als das Thema 1972 zum ersten Mal auf die Tagesordung kam, war der Widerstand vor allem der lateinamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Sektionen von amnesty groß. Homosexualität ist in fast allen afrikanischen Staaten ein völliges Tabu; die Existenz von Lesben und Schwulen wird schlicht geleugnet oder als Zeichen westlicher Dekadenz diskreditiert.

Die Delegierten der Karibikinsel Barbados, die sich in Yokohama für die Verabschiedung der Resolution einsetzten, sagten, daß sie wegen der Homophobie in ihrem Land mit Schwierigkeiten rechnen müssen, wenn sie sich für die Rechte von Lesben und Schwulen stark machen. Nicht umsonst heißt es im letzten Satz der Resolution, daß sich die ai-Sektionen bewußt sind, daß der Beschluß in vielen Ländern einen Rückschlag für ihre gesamte Arbeit nach sich ziehen wird.